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Isabelle Eberhardt

 

Geboren am 17. Februar 1877 bei Genf

 

Wüstenreisende und Reiseschriftstellerin mit außergewöhnlichem Lebensstil

 

Das wilde Vorleben von Isabelles Mutter

Nathalie Eberhardt, eine Deutsch-Baltin, die nach Russland emigriert war, ist mit einem Adligen aus der Kaiserlich Russischen Armee verheiratet. Nach drei Kindern soll sie ihren Mann verlassen haben, um mit dem anarchistischen Hauslehrer Alexander Alexander Nikolajewitsch Trofimowski durchzubrennen. (Zum Leben von Isabelle Eberhardt gibt es nur wenige gesicherte Informationen; es ist nicht geklärt, inwieweit Victor Barrucand, Verleger und Freund Eberhardts, Isabelles Nachlass umgestaltet hat.) Nach einer langjährigen Odyssee durch Europa lässt sich die Familie – Nathalie immer noch verheiratet und mit den drei Kindern im Schlepptau)1873 am Genfersee nieder.

Ihr Noch-Ehemann will sich mit Nathalie versöhnen und reist ihr in die Schweiz nach. Offenbar gibt Nathalie seinem Werben nach, denn das vierte gemeinsame (von ihm anerkannte) Kind Augustin wird 1872 in Montreux geboren. Ein Jahr später verstirbt der Ehemann.

Vermutlich mit seiner Erbschaft erwirbt man (den Lehrer gibt es immer noch im Leben von Nathalie) um 1874/1875 vor den Toren der Stadt Genf einen einsam gelegenen Landsitz mit großem Grundstück, der später zum Treffpunkt vieler Oppositioneller des Zaren werden sollte.

Isabelle kommt 1877 als Isabelle Wilhelmine Marie in einer Genfer Geburtsklinik zur Welt, mit dem Mädchennamen ihrer Mutter. Die Identität ihres Vaters ist nicht mit Bestimmtheit bekannt, wahrscheinlich ist es der Hauslehrer der Familie. Gerüchten zufolge, die wohl auch von Isabelle Eberhardt selbst gestreut wurden, könnte es sich aber auch um den Dichter Arthur Rimbaud oder einen namentlich nicht genannten Arzt der Mutter gehandelt haben.

Klein-Isabelle

Eine besondere Erziehung

Ihre Erziehung übernimmt der Hauslehrer und mutmaßliche Vater, innerhalb der Familie kurz „Vava“ genannt. Der aus Armenien stammende ehemalige russisch-orthodoxe Priester ist Tolstojaner, und hängt einem bäuerlich-religiösen Anarchismus an. Institutionen wie Kirche, Schule und Ehe lehnt er strikt ab.
Er unterrichtet die fünf Kinder morgens in Geschichte, Sprachen und Literatur, nachmittags werden zur „Ertüchtigung von Körper und Seele“ Arbeiten im Garten verrichtet. Schon hier trägt Isabelle Eberhardt Kleider ihres älteren Bruders und ihr Haar ist jungenhaft kurz geschnitten.
Ob dies als generelle Weigerung, Mädchenkleider zu tragen, geschieht, dem Wunsch Trofimowskis entspringt oder einfach für die Arbeiten im Garten praktisch ist, bleibt unklar. Mit zwölf soll sie bereits den Koran auf Arabisch, die Bibel auf Altgriechisch und die Tora auf Hebräisch gelesen haben. Zuhause wird Französisch, Deutsch und Russisch gesprochen. Eine öffentliche Schule besuchte Isabelle nie.
Obwohl oder gerade weil Vava sie von Glaubensfragen fernhält, entwickelt sie schon früh ein Interesse am Islam. 1895 schreibt sie: „Mein Körper ist im Okzident aber meine Seele ist im Orient“.

Ausbruch

Isabelle Eberhardt beginnt, sich im Haus des Patriarchen „Vava“ unwohl zu fühlen. Sie fährt immer öfter nach Genf, um das Nachtleben der Großstadt zu erkunden. Dort verliebt sie sich in einen jungen Moslem namens Archavir, der Aktivist der Jungtürken-Bewegung ist und in der Stadt lebt. In dieser Zeit beschließt Isabelle, Schriftstellerin zu werden. Sie abonniert die damalige Pariser Tageszeitung Le Journal. Sie sucht den Kontakt zu Intellektuellen, die sie in religiösen Fragen des Islam unterrichten und schwärmt für die arabische Kultur.

Als ein Arzt ihrer Mutter wegen deren Migräne einen Klimawechsel empfiehlt, nutzt Isabelle die Chance und reist mit ihr. Im Mai 1897 fahren die beiden per Schiff von Marseille ins damals französische Algerien.

Ab 1897 lebt Isabelle Eberhardt mit ihrer Mutter in Annaba in Algerien (damals heißt die Stadt noch Bône), wo sie beide zum Islam konvertieren. Um sich freier bewegen zu können, legt Isabelle ihre europäische Kleidung ab und kleidet sich als arabischer Mann. Sie verkehrt in lokalen Studentenkreisen und hält sich streng an gewisse Rituale des Islam wie Waschungen, Gebet und Fasten. Ihr maßloser Alkohol- und Marihuanakonsum sowie ihre Promiskuität verstoßen jedoch schwer gegen die Gebote des Koran.

Ihrer kranken Mutter hilft der Kuraufenthalt nicht, sie stirbt am 28. November 1897 an Herzversagen. Isabelle tröstet sich mit der Arbeit an ihren Tagebüchern, die später unter dem Titel Mes Journaliers (dt. „Tagwerke“) veröffentlicht wurden. Die geliebte verstorbene Mutter nennt sie darin „weißer Geist“ und „weiße Taube“. So schreibt sie 1899 in ihr Tagebuch: „Welche Illusionen sollte ich noch haben, wo doch die weiße Taube, die die ganze Süße und das Licht meines Lebens war, seit zwei Jahren dort unten schläft, in der Erde, auf dem ruhigen Friedhof der Gläubigen von Annaba!“

Nach dem Tod der Mutter reist Isabelle Eberhardt – inzwischen gerade 20-jährig – als Nomadin nach Tunis. Unter dem Decknamen Si Mahmoud streift sie in Männerkleidung durch die Wüste, besucht sowohl Bars und Bordelle als auch heilige Stätten des Islam und lebt promiskuitiv bei den nordafrikanischen Beduinen. Sie schreibt ihre ersten Prosaskizzen, die auch gleich veröffentlicht werden, kauft sich vom Honorar einen Araberhengst und reitet auf dem allein ins Innere der Wüste Sahara. Im März 1898 geht ihr das Geld für Hotels und Reisekosten aus und sie muss nach Genf zurückkehren.

Nach ihrer Rückkehr nach Hause pflegt sie den an Kehlkopfkrebs erkrankten Vava, der am 1899 stirbt. Biografen mutmaßen, die Geschwister hätten ihm eine Überdosis an Schmerzmitteln verabreicht, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten.

Bône um 1900, heute Annaba in ALgerien

Rückkehr nach Algerien

Isabelle kehrt im Juli 1900 nach Algerien zurück. Sie ist 23 Jahre alt. Die junge Abenteuerin  lernt die Witwe des in der Sahara verschollenen Abenteurers und politischen Aktivisten Marquis de Morès (1858–1896) kennen, dessen Schicksal sie ergründen soll. Für diesen Auftrag erhält sie 1500 Francs Reisegeld.

Isabelle Eberhardt kauft sich wieder einen Araberhengst und reitet erneut – diesmal unter dem Pseudonym Si Mahmoud Saadi –  in die Wüste. In der Oase El Oued lernt sie den Quartiermeister der französischen Garnison kennen, einen „gutaussehenden, weichlichen, nachgiebigen Algerier namens Slimène Ehnni, der ausgezeichnet Französisch sprach, die französische Staatsbürgerschaft erlangt hatte und der beste Liebhaber war, dem Isabelle je begegnet war“, schreibt später einer ihrer Biografen.

Die Verliebten schreiben einander Briefe übers Heiraten und über die Eröffnung eines Lebensmittelgeschäftes, um damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Isabelle beschreibt Ehnni ihrem Bruder Augustin in einem Brief aus El Oued wie folgt: „Er ist ein sanfter, heiterer Mensch, der den Lärm, die abendlichen Ausgänge und die Kneipen verabscheut. Er ist häuslich und eifersüchtig darauf bedacht, seine Privatsphäre gegen außen zu verteidigen. Slimène ist der ideale Gatte für mich, denn ich bin müde, angewidert und vor allem der verzweifelten Einsamkeit überdrüssig, in der ich mich trotz gelegentlicher Bekanntschaften befand.“ Die gemeinsamen Pläne scheitern jedoch aus Geldmangel und Isabelle Eberhardt ist bald wieder alleine in der Wüste unterwegs. 

 

Attentat und Ausweisung

Isabelle tritt dem SufiOrden Qādirīya bei. Rückzug aus der Gesellschaft und Askese sind wichtige Prinzipien dieses Ordens. Ein Mitglied eines anderen Ordens, offenbar ein religiöser Fanatiker, der mit Qādirīya verfeindet ist, greift Isabelle Eberhardt auf dem Dorfplatz von Behima (heute Hassani Abdelkrim) in Algerien mit einem Krummsäbel an. Sie wird an Schläfe und Schulter getroffen, überlebt dieses Attentat aber nur leicht verletzt.

Vor Gericht sagt der Attentäter später aus, Allah habe ihm die Tat befohlen. Zwar verzeiht ihm Isabelle vor Gericht und bittet um Gnade für ihn, trotzdem wird er zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Aber auch für Isabelle selbst hat der Prozess Konsequenzen. Das Gericht betrachtet sie als ausländische Unruhestifterin und verweist sie im Mai 1901 für unbestimmte Zeit des Landes. Möglicherweise ist den Behörden auch Isabelles Lebensführung suspekt, sie wurde mehrfach verdächtigt, in politische Intrigen verwickelt zu sein oder als Spionin zu arbeiten.

Daraufhin reist Isabelle nach Marseille aus, wo sie bei ihrem Bruder Augustin unterkommt (andere Quellen berichten, sie habe am Hafen bei fremden Leuten ein Zimmer bezogen). Ihr Bruder führt in Marseille als Lehrer mit Frau und Kindern ein bürgerliches Leben.

Mit dem Hintergedanken, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen, oder auch aus purer Sehnsucht bestellt Isabelle Eberhardt Slimène Ehnni zu sich. Die beiden heiraten am 17. Oktober 1901 zunächst auf dem Standesamt in Marseille, dann nach islamischem Ritus in einer Moschee. Zu diesem Anlass trägt Isabelle wohl zum ersten Mal seit langer Zeit wieder weibliche Kleidung: ein schwarzes Kostüm mit einer Weste aus fliederfarbenem Satin und einen schwarzen, mit Flieder geschmückten Männerhut. Als die benötigten Papiere im Januar 1902 zusammen sind, reist sie – nun als französische Staatsbürgerin – nach Algerien zurück. Dort lebt sie jedoch nie herkömmlich mit ihrem Gatten zusammen; immer wieder zieht es sie in die Einsamkeit der Sahara.

Allein in Algerien

Zurück im Maghreb

Nachdem ihr Ehemann Slimène Ehnni den Militärdienst quittiert hat, wohnt das mittellose Paar vorerst bei seinen Eltern. Isabelle zieht es bald in die Weiten des Maghreb. Der französische Schriftsteller und Journalist Victor Barrucand bietet ihr freie Kost und Logis an, wenn sie für die von ihm in Algier herausgegebene zweisprachige Zeitschrift L’Akhbar schreiben würde. Froh, über Reisegeld zu verfügen, nimmt sie die Offerte an. Barrucand verlegt ihre in früheren Jahren entstandenen Reportagen und Kurzgeschichten aus der Sahara, wodurch Isabelle in Algerien und Frankreich eine gewisse Bekanntheit als Schriftstellerin erlangt. Noch im selben Jahr wird Eberhardt von der Dépêche algérienne als Kriegsreporterin an die marokkanische Grenze geschickt. Dort lernte sie den französischen Militärkommandanten Hubert Lyautey kennen, der sie bittet, als „Mittlerin zwischen den Welten“ Kontakte zwischen Franzosen und Einheimischen zu knüpfen, um den späteren friedlichen Anschluss Marokkos an Algerien vorzubereiten. In dieser Zeit entstehen die meisten Schriftwerke von Isabelle Eberhardt.

Der berufliche Erfolg trägt aber offenbar nichts zu ihrer Stimmung bei. Auch ihr Äußeres soll nichts Anziehendes mehr gehabt haben. Der Schweizer Biograf Alex Capus beschreibt dies so: „Ihr Gesicht war von Alkohol verwüstet, die Stimme rau, der Schädel rasiert und der Mund zahnlos“. Kaum vorstellbar für eine Mitte Zwanzigjährige. 

Malariakrank 1904

Letzte Jahre

Depressiv und unzufrieden sucht Isabelle Eberhardt noch immer nach dem „Woanders“. Sie schreibt: „Wie immer fühle ich aber auch eine endlose Traurigkeit, die meine Seele beschleicht, ein unbeschreibliches Verlangen nach etwas, das ich nicht in Worte fassen kann, Wehmut über ein Woanders, das ich nicht benennen kann.“ Neben ihrem Seelenleid ist sie in körperlich schlechter Verfassung. Warum auch immer ihr Mann zustimmt, sie beschließen den gemeinsamen Suizid. Das Paar begibt sich mit Pistole und Absinth in die Wüste, ist aber schon bald zu betrunken, um den Plan ausführen zu können.

1904 leidet Isabelle an so heftigen Malariaschüben, dass das Paar die Militärstation von Aïn Sefra aufsuchen musst. Dort mieten sie eine kleine Hütte aus Lehm, Isabelle geht ins örtliche Militärkrankenhaus,  um ihre Malaria zu kurieren, hält es dort aber nicht lange aus. In der Nacht vom 20. zum 21. Oktober 1904 geht ein heftiges Gewitter über der Region nieder. Nur wenige Stunden zuvor hat Isabelle gegen den ausdrücklichen Rat der Ärzte das sicher gelegene Krankenhaus verlassen, um in ihr Lehmhaus, das an einem Flussbett stand, zurückzukehren. Ehnni flieht rechtzeitig vor den heranströmenden Wassermassen. Warum ohne Isabelle, ist nicht klar. Vielleicht war sie zu schwach, vielleicht wollte sie nicht. Sie ertrinkt in der Hütte. Ihr Leichnam wird nach zwei Tagen gefunden, zusammen mit ihrem einzigen Nachlass, den Skizzen für ihren Roman Le Trimardeur (deutsch „Der Vagabund“). Isabelle Eberhardt ist nur 27 Jahre alt geworden. 

1991 kam ein englischsprachiger Spielfilm namens Isabelle Eberhardt in die Kinos, war allerdings nur in Australien zu sehen und floppte aufgrund schlechter Kritiken („zu albern“, „wird ihrem Leben nicht gerecht“ etc.) Interessierte finden ihn auf youtube

posthum

Eine Straße im Genfer Stadtteil Les Grottes ist nach Isabelle Eberhardt benannt. Ihr Wechsel der Geschlechterrolle, ihre Reiselust und die Tatsache, dass sie gesellschaftlichen Hindernissen trotzte, um ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, faszinierten angesichts des Aufschwungs des Feminismus Anfang der 1970er Jahre.

Der französischstämmige deutsche Schriftsteller René Prévot verarbeitete seine Begegnung mit Isabelle Eberhardt in dem Text „Geige in der Wüstennacht“, der 1955 in seinem Band „Dreizehn sonderbare Geschichten“ erschienen ist.

Die vierbändige Sammlung ihrer Reisenotizen erscheint neu aufgelegt unter dem Titel „Sandmeere“ im April 2024

Isabelles Grab damals und heute (2017)

Quellen: Wikipedia, overgrown

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