Susanne Huber

(der nachfolgende Text stammt von Dr. med. Bärbel Kreuzpointner, Vorsitzende des  Historischen Vereins Babenhausen e.V.:)

1936 errichtete Werners Goßmutter, Maria Huber zusammen mit ihrem Sohn Johann, dem Vater von Werner am Ortsrand des Fuggermarktes Babenhausen eine Fabrikanlage zur Herstellung von Drahtstiften und ein für damalige Zeiten sehr komfortables und großes Wohnhaus. Damit erweiterte Maria Huber die Unternehmerfamilie um einen weiteren Unternehmenszweig. Der Bruder von Johann Huber betrieb ein Unternehmen zur Herstellung von Betonrohren und Handel mit Baumaterialien, die Schwester ist mit einem Bauunternehmer verheiratet. Maria Huber, nimmt in allen drei Unternehmen maßgeblichen Einfluss. Maria Huber, 1880 in ärmlichen Verhältnissen unehelich geboren, war bereits drei Jahre alt, als Ihre Mutter heiratete.

Die bayrisch schwäbische Marktgemeinde Babenhausen, damals ein Ort mit 2500 Einwohnern, war geprägt von kleinen Bauernhöfen und Handwerkern, die hauptsächlich für das Haus Fugger tätig waren. Wald- und Forstwirtschaft beschäftigten einen großen Teil der ausschließlich katholischen Bevölkerung.
1883 legte Maria Huber durch ihre Heirat mit den Zementeur und Nebenerwerbslandwirt, Johann Huber den Grundstein für die späteren Unternehmungen. Werner hat sie als strenge und sehr konsequente Kauffrau in Erinnerung. Sein Respekt vor ihr war sehr von Angst geprägt. Ihr Einflussnehmen belastete die Ehe von Werners Eltern bis zu ihrem Tod im Jahre 1951. Die Leidenschaft ihres Mannes war eher die kleine Landwirtschaft als das Zementeurhandwerk. Er starb 1935 mit 62 Jahren.

 

 1940-1950

Im Herbst 1941 heiratete Johann Huber im Alter von 32 Jahren die evangelische Münchnerin Klara Mehn, Tochter eines kleinen Beamten. Damit erfüllte er sicher nicht die Pläne seiner Mutter, die sich eine Verheiratung innerhalb der katholischen, besseren Gesellschaft in der Region vorstellte. Klara war für die Babenhauser Familie nicht standesgemäß und obendrein noch „wüst-gläubig“. Klaras Eltern fühlten sich gekränkt, rieten ihr von dieser Heirat ab und hatten immer ein gespanntes Verhältnis zu den Babenhausenern. Klara war nach einer Krankheit aus Berchtesgaden zu einer Freundin nach Babenhausen gekommen. In Berchtesgaden war sie in einer Schreibwarenhandlung direkt an der Auffahrt zum Obersalzberg beschäftigt. So hatte sie oft Gelegenheit den „Führer“ zu sehen und die Begeisterung um ihn zu erleben. 1942 wurde Werner als erstes Kind geboren. Er kam als Steißlage auf die Welt, wäre beinahe erstickt und die Mutter fast verblutet. In der allgemeinen Aufregung wurde vergessen die Geburtszeit festzustellen. So ist nie geklärt worden, ob er am 30. oder 31.März 1942 zur Welt kam.

Nagelfabrik

Werners Vater musste neben dem Betrieb der Nagelfabrik, die als kriegswichtig eingestuft war, Dienst in der Gendarmerie d. Reserve leisten und in der Nähe ein Kraftwerk bewachen. 1943 musste er nach Jugoslawien an die Front. Seine Frau war mit Werner und einem Schäferhund im großen Anwesen alleine und flüchtete vor den Ressentiments der Verwandtschaft immer wieder zu ihrer Familie nach München.

Während eines Fliegerangriffs auf München wäre Werner beinahe das Opfer einer Bombenexplosion geworden. Der Schäferhund der Familie winselte aufgeregt an Werners Kinderwagen solange, bis die Mutter den Wagen vom Kellerfenster wegschob. Kurz darauf stürzte genau diese Seite durch eine Bombeneinschlag ein.
Er war dabei, als die Mutter im zerbombten München in einem Aufnahmelager eine Familie auswählte um ihr im Babenhauser Wohnhaus eine Unterkunft zu geben. Damit widersetzte sie sich den Anordnungen des Bürgermeisters, der Möbel einer Babenhauser Familie, die sich im Ruhrgebiet angesiedelt hatte, in ihr Wohnhaus einstellen wollte. Im Herbst 1943 wurde Werners Schwester und 1956 Werners Bruder als Nachzügler geboren. In den letzten Kriegstagen war die Mutter wieder mit ihren Kindern in München. Ihr Vater war Luftschutzwart und rückte aus, als die Flak Flugzeuge abgeschossen hatte. Werner folgte ihm unbemerkt, verlor den Großvater aus den Augen und irrte zwischen den brennenden Wrackteilen angstvoll umher. Irgendjemand setzte ihm einen Helm auf und brachte ihn zurück zur Mutter. Zum Kriegsende errichtete die Luftwaffe in der Nagelfabrik ein Lager, das dann von den einziehenden amerikanischen Streitkräften übernommen wurde.
Das Wohnhaus wurde im Frühsommer 1945 von den Offizieren der amerikanischen Besatzer beschlagnahmt, Werners Mutter musste mit ihren beiden Kleinkindern und mit der ausgebombten Münchner Familie in den Dachboden der Nagelfabrik umziehen. Die beiden Frauen hatten für den Haushalt der Amerikaner zu sorgen. Die Männer der beiden Familien kamen vom Krieg zurück, die Amerikaner räumten wieder das Haus, in das nun weitere Flüchtlingsfamilien eingewiesen wurden. Es wurde eng in dem großen Haus und auch im Mietshaus im Ort wurde ohne Rücksicht auf die sanitären Möglichkeiten nahezu pro Wohnraum eine Familie eingewiesen. Die Kinder aus der Nagelfabrik, es waren Werner, seine Schwester und die drei Buben der anderen Familien, gingen in den Kindergarten und in die örtliche Volksschule. Den beiden Huberkindern ging es gut, für Nägel bekam man vieles, was es sonst nur rationiert auf Zuteilungskarten gab. In diesem Kontrast zwischen einem gutsituierten Zuhause und der Not vieler Schulkameraden wuchs Werner auf. Werners Eltern versuchten zu helfen, wo es ging, bauten in den beiden Häusern immer wieder um, um den Wohnraum für alle etwas komfortabler zu machen. Bei den Kinderfesten, in der Schule und den Vereinen war das Engagement besonders von Werners Mutter gerne gesehen.
Die Frauen der mitwohnenden Familien hatten Zeit für ihre Kinder, Werners Mutter aber hatte bis zur Erschöpfung viele Aufgaben und Pflichten im Haushalt, im Büro und in der Fabrik zu bewältigen. Während des Koreakrieges 1950 bis 53 liefen die Nagelmaschinen Tag und Nacht für den Bedarf der Amerikaner. Der Lärm der Nagelmaschinen war im Wohnhaus gut zu hören. Werners Eltern arbeiteten schwer und fanden kaum Schlaf. Der Vater war von da an gesundheitlich angeschlagen. Er litt unter Schlafstörungen und war oft erschöpft. Es gab heftige eheliche Auseinandersetzungen, die sich hauptsächlich um das Unternehmen, die Mitarbeiter, die Mieter in den beiden Häusern und oft auch um die Anordnungen der Großmutter drehten. Es war immer viel Aufregung in der Familie.
Werners Mutter sah sich gefordert stets perfekt zu sein. Sie forderte damit nicht nur sich bis zum Umfallen, sondern auch ihren Sohn, in den sie großen Ehrgeiz legte. Sie lieferte immer wieder Beispiele ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinns und ihrer unerschrockenen Streit- und Kritiklust. Dies alles hat Werner wohl in sein Leben mitgenommen, obwohl ihm die Mutter seinen „G´walt“ mit Schlägen und Verbannung ins Kellerloch austreiben wollte. Anlass dazu waren u.a. Tobsuchtsanfälle, weil er die von ihr genähten Hosen anziehen musste, während seine Schwester mit schicken Kleidern ausstaffiert wurde. Waren es diese Erfahrungen oder die Umstände um seine Geburt, die er und seine Mutter ums Haar nicht überlebt hätten, dass er sehr früh begann zu kämpfen, sich zu wehren und sich durchzusetzen ohne Rücksicht darauf, was ihm gut tat oder schadete?
Man war wer in einer Gesellschaft, in der Selbstständige unter sich waren. Die Familie war mit der großen Verwandtschaft im Ort gesellschaftlich stark eingebunden. Man wurde der Hautevolee zugeordnet, obwohl sich Werners Vater oft darüber lustig machte. Die Verwandtschaft machte ihren Einfluss im Geschehen des Marktes geltend. „Die Blutwurst“ wurden diese weitverästelten Verbindungen von blutsverwandten und angeheirateten Familienmitgliedern in der Bürgerschaft oft kritisch genannt. Familiäre Anlässe waren die Gelegenheiten, an denen sich die Verwandtschaft traf. Fast jeden Sonntag traf sich der Kern der Huberverwandtschaft in Werners Elternhaus, schon weil die Großmutter den Sonntagnachmittag beim Hans (Werners Vater) verbrachte. Unter der Woche hatte Klara (Werners Mutter), ihr eine ordentliche Mittagsmahlzeit pünktlich ins Stammhaus der Hubers in der Ortsmitte zu bringen. Legende wurden die Kuchen und Torten von Werners Mutter, die sie zu den Sonntagsnachmittag-Kaffeerunden backte. Aus dieser Verpflichtung zum „Wochenend-Kuchenbacken“ konnte sich Werners Mutter ihr Leben lang nicht mehr lösen. Es wurde viel geratscht und getratscht in diesen Sonntagsrunden. Die Kinder waren i.d.R. in der Küche und bei den Gesprächen nicht sehr willkommen. Der verlorene Krieg, vieles an was man geglaubt hatte war dahin. Der Entnazifizierung musste man sich stellen, Denunzianten im Ort waren gefürchtet, das große unter den Teppichkehren begann. Vieles wurde unter vorgehaltener Hand und gesenkter Stimmlage besprochen. Das reizte Werner, der wohl merkte, dass da vieles war, was die Kinder nicht erfahren sollten. Neugieriges Nachfragen wurde mit Ohrfeigen quittiert. Die vielen Flüchtlinge und der Zwang immer noch mehr Fremde in die Häuser aufzunehmen führte zu Spannungen in der Bevölkerung. „Dia Hura (steht für Hure) Flüchtlinge“ war ein geläufiger, hasserfüllter Ausspruch. All das passte für Werner nicht zusammen mit den Erfahrungen im Kindergarten und später in der Schule. Die meisten Flüchtlingskinder waren schüchtern, ausgehungert und viel krank. Werner irrte emotional in diesem Spannungsfeld herum und fand keine Orientierung.

 

 1950-1960

Werner fühlte sich von frühester Kindheit an anders als die anderen ohne zu wissen warum. Es war wohl eine Mischung aus der gesellschaftlichen Stellung der Eltern, bzw. was er davon so mitbekommen hat und einem Empfinden, das nicht das eines Jungen war.

Mit 15 zitierte er in seinem Tagebuch Bismarck mit „der Mensch ist nicht auf der Welt um glücklich zu werden, sondern um seine Pflicht zu tun“ und ergänzte „und er wird in seiner Pflicht glücklich werden“. Dieses Tagebuch enthält nur einen Eintrag und beschreibt die Sehnsucht nach seiner Münchner Cousine. Sie war für ihn der Inbegriff dieser Weiblichkeit, die er von frühester Jugend an so sehr geschätzte und wohl auch unbewusst suchte. Das Umfeld verlangte sich anzupassen, nicht aus der Reihe zu tanzen und den strengen Regeln der Familie und Gesellschaft zu folgen. So entstand eine Welt der Anpassung, den Anforderungen zu entsprechen auf der einen Seite und andererseits des Widerstands, des Aufbegehrens und der Versuche eigenes Wollen durchzusetzen.
1952 kam Werner in das Internat im Kolleg der Schulbrüder. Die Ordnung und der geregelte Tagesablauf taten ihm gut. Nach einem Jahr aber fand sein Vater, dass ihn dieses Leben unselbständig mache, nahm ihn aus dem Internat, so dass er die restlichen 5 Jahre als Fahrschüler das Kolleg besuchte. Im Kolleg der Schulbrüder wuchs der Wunsch nach einem geistlichen Beruf. Die Eltern aber machten ihm ständig bewusst, dass sein Weg, die spätere Übernahme des Unternehmens, fest steht. Lehre in Reutlingen und Ingenieurstudium in München waren die einzig erlaubte Option. Systematisch wurden in ihm das Interesse für Technik und sein Erfindergeist gefördert, alles andere belächelt, ignoriert oder verboten. Die Schulbrüder im Kolleg vermittelten ihm Werte, die ihm immer wichtig blieben und eine tiefe Beziehung zu Gott und Maria. Seine Lieblingslektüre waren die Geschichten um Prinz Eric, einem edlen, sehr zarten Pfadfinder. In ihm sah er ein Vorbild. Zum Trauma wurde es da für ihn, als ihn eine Gruppe von Halbwüchsigen aus seinem Heimatort sexuell quälte. Er hat nie zu jemand darüber gesprochen. Er schämte sich, fühlte sich schuldig und verloren. Er wollte es durch Verdrängung ungeschehen machen, obwohl sich das Erlebte durch Schmerzen immer wieder bemerkbar machte. Erst im Laufe einer Therapie ab 1997 wurde das Geschehen aufgearbeitet. Die Mitgliedschaft bei den Pfadfindern endete am Tag vor der Weihe, weil Werner vom Anführer mit Anzüglichkeiten im Wald traktiert wurde. Tief verletzt und enttäuscht verbrannte er Halstuch und Knoten. Im Vorbereitungsunterricht zur ersten Kommunion erlebte er cholerische Ausbrüche des örtlichen Pfarrers und musste mit ansehen wie Klassenkameraden in der Kirche geschlagen wurden.

Kommunion 1951

Er erhielt Klavier- und Akkordeonunterricht und schon früh erwachte in ihm die Freude am Theaterspielen. Erst im Kindergarten, dann im Kolleg und bald auch im örtlichen Theaterverein. Im Kolleg, das eine reine Jungenschule war, war stets er es, der die Mädchen- und Frauenrollen spielen durfte. Dass er mit 12 Jahren im Theaterverein den Hänsel und nicht die Gretel spielen, sondern nur ihre Stimme singen durfte, machte ihn maßlos traurig. Auch später bei Faschingsveranstaltungen trat er immer wieder in weiblichen Rollen auf. Wenn man heute Susanne fragt, was Werner damals in solchen Auftritten empfand, beschreibt sie es mit einem Gefühl der Ruhe, einer wohligen Selbstverständlichkeit und Normalität, als ob das andere, das männlich sein die aufgesetzte Rolle und das Unnormale sei.

1956 wird Werners Vorname geändert in Hans-Werner, da es mit einem anderen Werner Huber im Ort ständig Verwechslungen gab. Heute empfindet Susanne diese Vornamensänderung auch als Abschied von ihrer Kindheit und spricht aus der Zeit vor Susanne immer nur vom Werner.

Werner ca 1957

H.-Werner praktizierte in Reutlingen in der Fabrik die auch die Maschinen für den elterlichen Betrieb herstellte. Das verschaffte ihm auch in dieser Umgebung wieder Privilegien. Die raue Männerwelt in der Fabrik ließ ihn aufmüpfig gegenüber den Männern reagieren, während er sich für die Interessen der wenigen Frauen im Betrieb einsetzte. Er war gerade 17, da starb der Vater an einem geplatzten Blinddarm mit 49 Jahren. Besonders schicksalhaft war der Umstand, dass ein zur entfernten Verwandtschaft gehörender Chefarzt seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt und den Tod des Vaters mit zu verantworten hatte. Zur Bewältigung der Trauer, fand sich in der Familie keine Zeit. So gelang es H.-Werner erst fast 40 Jahre später sich im Rahmen der Therapie von seinem Vater zu verabschieden und seinen Tod zu akzeptieren. Im Hören klassischer Musik vom Tonband, das ihm noch sein Vater geschenkt hatte, versuchte er sich trösten. Dies blieb ihm und noch heute findet Susanne in der Musik Entspannung und Motivation. Am Sterbebett versprach die Mutter die Fortführung der Nagelfabrik, obwohl es schon damals fast unmöglich geworden war, sich im Wettbewerb der großen und ausländischen Unternehmen zu behaupten.

 

 1960-1970

Ernst des Lebens und erste Verantwortungen

Für H.-Werner waren die Jugendjahre vorbei, und er nahm die Herausforderung an. Jetzt sich als Mann zu bewähren würde ihm sicher helfen mit diesem anderen Teil in ihm, der von ihm Besitz ergreifen wollte, fertig zu werden. Dieses andere Ich, das er nicht fassen, nicht erklären konnte und das ihn oft ratlos und traurig machte, hat er immer wieder versucht in Liedern und Gedichten zu beschreiben.

Er sah seinen Wahlspruch bestätigt und fühlte sich ab sofort in die Pflicht genommen. Ein Wertesystem auf Grund der Erziehung und dem Erleben im Elternhaus, die Ansprüche der Verwandtschaft, Freunde und Bekannten der Eltern, die als Vorbilder erlebten Lehrer und Ausbilder und ein anspruchsvoller Freundeskreis waren wohl die Grundlage der Ansprüche an sich selber, die bald dann auch in einer Haltung “ geht nicht, gibt es nicht und aufgeben schon gleich gar nicht“ das spätere Handeln bestimmten.

Kampf um das Erbe seines Vaters

An der Seite seiner Mutter fand er sich mit 19 Jahren in einer erbarmungslosen Wirtschaftswelt. Die Arbeit in der Nagelfabrik war körperlich sehr schwer und als Vertreter musste er hinaus um Aufträge bei Stahlkonzernen in München und Eisenhandlungen im ganzen bayrischen Raum hereinzuholen.

Werner ca. 1962

Bald verliebte er sich in eine 5 Jahre ältere Frau. Er war ihr zu jung, und sie nahm eine Stelle in Österreich an, um nicht mehr so leicht erreichbar zu sein. Täglich rief er sie an warb um sie und besuchte sie.

Der Besuch hatte Folgen. H.-Werners erstes Kind war unterwegs, und es war für ihn und seine Mutter selbstverständlich, dass er schnellstmöglich heiratet. Noch im November 1962 war die Hochzeit mit Ausnahmegenehmigung des Jugendamtes, da er noch nicht volljährig und einer Genehmigung der katholischen Kirche, da die Braut evangelisch war. 1963 kam der Sohn Jürgen zur Welt und 1964 die Tochter Michaela.

Die frühe Ehe mit 20 war für H.-Werner eine logische Folge der Auffassung, der Ernst des Lebens habe begonnen und  für eine Familie mit 2 Kindern verantwortlich zu sein. H.-Werner setzte sich in der Familie und Verwandtschaft durch, und die Gesellschaft beobachtete gespannt die Entwicklung in der jungen Familie. H.-Werner war im Gerede, was er einfach ignorierte. Er war aktiv in Vereinen und mit seiner Frau regelmäßig beim Reiten. In Fernkursen erwarb er sich betriebswirtschaftliches Wissen. Obwohl sich bereits zu Lebzeiten des Vaters abzeichnete, dass die Fertigung von Nägeln keine Zukunft mehr hat, suchte er nach Möglichkeiten seinen Verpflichtungen gegenüber den Mitarbeitern und dem elterlichen Erbe gerecht zu werden – zunächst mit Modernisierung der Nagelproduktion und Drahtzieherei. Eigene Entwicklungen ermöglichten Nonstop-Betrieb der Maschinen und erhöhten den Ausstoß. Damals noch völlig unbekannte von ihm entwickelte SB-Packungen und Handelsware haben das Angebotsspektrum erweitert. Die Mutter und ihr zweiter Mann wollten vieles nicht billigen, was der Sohn und seine Frau anders machten.

Suche nach neuen Wegen

Schließlich investierte sie viel Geld in eine damals vollkommen neue und revolutionäre Bearbeitung von gehärtetem Stahl, einer Erodiermaschine, und traten damit als innovativer Dienstleister auf. Werner gab den Anstoß für das damals noch unbekannte Drahterodierverfahren und experimentierte damit. Bedeutende Werkzeugbauer und Industrieunternehmen wurden ihre Kunden. Doch damit konnten sie die ungelernten Arbeiter der Nagelfabrik nicht beschäftigen, und sie suchten für die Mitarbeiter eine geeignete Fertigung.

Verantwortung für die Mitarbeiter

Sie beschafften sich das Know how, für Produktentwicklung und Vertrieb. Dann stellten sie das Unternehmen von der Massenfertigung von Drahtstiften zur Einzelfertigung von Fiberglasteilen um. Die Kunden im Fahrzeug- und Maschinenbau gewann Werner durch seine selbst angeeignete  Fachkenntnis und Bereitschaft auch das Unmögliche zu versuchen. Um nicht als Zulieferer abhängig zu sein, wurden eigene Produkte aus Fiberglas entwickelt und später die Fertigung von Booten aufgenommen.

 

 1970-1980

Zuerst waren es kleine Segelboote die über den Katalog von Neckermann vertrieben wurden. Später bauten sie größere Jollen und Jollenkreuzer, die durch besonderes Design auf den Bootsmessen in Friedrichshafen und Düsseldorf erfolgreich verkauft wurden. Aufsehen erregte die erstmalige Präsentation der Boote schwimmend in einem acht Meter langen Becken. Die Fertigung aber verlangte immer größere Präzision und verschlang Kapital, das von den zögerlichen Banken schwer oder nur mit sehr hohen Zinsen zu beschaffen war.

Bootsbauer ca. 1972

Familiärer Zusammenbruch und wirtschaftlicher Niedergang.

Die ganzen Belastungen wurden für die Familie so groß, dass die Ehe zerbrach. Dies war ein langer Prozess, in dem H.-Werner versuchte sich seiner Verantwortung zu stellen. Über fünf Jahre kämpfte er zusammen mit seiner Frau um den Erhalt der Familie; sie haben beide verloren. Die Ehe wurde 1974 geschieden, die Kinder damals gerade 11 und 12 Jahre alt blieben in seiner Obhut, da er eine Mutter hatte, die auch jetzt wieder vieles übernahm und ihm beistand. Es war eine Zeit heftiger Einschnitte. Zuerst die zerbrochene Ehe, dann der Freitod eines Cousins, dem er ganz besonders verbunden war. Dieser hatte das Unternehmen seiner Eltern zu einem bedeutenden Bauunternehmen in der Region weiterentwickelt und war eine zentrale Persönlichkeit des gesellschaftlichen Lebens im Ort war. Das Unternehmen des Cousins wurde aufgelöst und vieles, was in der Verwandtschaft als fundamental galt, hatte plötzlich keinen Bestand mehr.

Zwei Jahre später, im Jahr 1976 war auch H.-Werner am Ende. Er konnte den Kapitaldienst nicht mehr schultern und meldete Vergleich an. Sein Unternehmen wurde aufgelöst, das elterliche Anwesen von der Bank verkauft und später für einen Supermarkt abgerissen. Familiär und als Unternehmer gescheitert transportierte H.-Werner mit dem Kleinwagen der Mutter seine ihm vom Vergleichsverwalter noch zugestandene Habe auf einem offenen Anhänger durch seinen Heimatort in die neue provisorische Unterkunft, die ihm spontan ein Freund zur Verfügung stellte. Der Fabrikantensohn, Unternehmer, Vereinsvorstand am Ende. Grund genug diesen Ort zu verlassen und ganz wo anders neu zu beginnen. Darauf angesprochen antwortete er “ ich habe alles verloren, wenn ich jetzt gehe, verliere ich auch meine Wurzeln, das wäre wirklich das Ende.“

Gesellschaftlicher Neuanfang

Die Familie, Verwandtschaft, Freunde und Bekannte hielten weiter zu ihm, und er behielt die Vorstandsposten von Vereinen. Er zog sich nicht zurück und blieb in der Gesellschaft aktiv. In dieser Zeit wurde er für die FDP geworben, die damals in der Links-Liberalen-Koalition in einem fundamentalen Wandel steckte. Sich für die Schwachen und Minderheiten einsetzen, liberal und tolerant sein war genau das, was zu seinem Innersten passte. Statt zurückgezogen eine neue Existenz aufzubauen, suchte er die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit mit allen, die die Macht und das Sagen im Ort hatten. Er setzte sich für die Umwelt ein, organisierte die erste Altglassammlung im Ort und revoltierte gegen das Fällen von Bäumen. So war er ein früher Grüner, was von konservativen Politikern damals schon fast als RAF-Nähe ausgelegt wurde.

Wenn Susanne heute von dieser Zeit spricht, beschreibt sie dieses Aufbegehren als Versuch Männlichkeit zu beweisen. Immer wenn es ruhig um ihn wurde, meldete sich dieses andere Ich, und er spürte, dass es ihn in eine Weiblichkeit zog, die er an sich einfach nicht dulden wollte. Zumindest nach außen musste er Männlichkeit beweisen und glaubte dies in Angriff und Streitlust tun zu müssen. Dass es ein Kampf gegen sich selber war, und er es mit ständigen körperlichen Schmerzen büßen musste, realisierte er nicht.

Mit Elisabeth, deren Eltern als Vertriebene nach Babenhausen gekommen waren, fand H.-Werner eine neue Partnerin. Sie heirateten 1978. Für viele war es unverständlich, wie sich eine junge, gutaussehende und erfolgreiche Geschäftsfrau auf einen geschiedenen Bankrotteur mit zwei Kindern und jetzt auch noch politischen Querulanten einlassen konnte. Die Warnungen kamen von allen Seiten.

Auf in eine ganz neue Technologie

Mit einer Entwicklung zur Zeiterfassung in der Fertigung, die H.-Werner zum Patent angemeldet hatte und den Kunden, die weiter Kunststoffteile beziehen wollten, hatte er gleich nach dem Auszug aus seinem Elternhaus noch 1976 in einer angemieteten ehemaligen Schreinerei wieder begonnen eine neue Existenz aufzubauen. Es konnten einige Mitarbeiter wieder beschäftigt und gleichzeitig das Zeiterfassungssystem weiterentwickelt werden. So kam es, dass Kunststoffverarbeitung und Elektronikentwicklung in den gleichen Räumen stattfanden.

Sein Sohn begann bei ihm eine Lehre, und gemeinsam erarbeiteten sie sich das Know-how zur Programmierung der damals gerade in den USA neu entwickelten Kleincomputern, den späteren PCs. Zu einer Zeit, in der die EDV-Branche allein von Großkonzernen bestimmt wurde, begann H.-Werner EDV-Lösungen zu entwickeln, übernahm den Vertrieb einer noch sehr jungen Firma in Florida und wurde zum EDV-Anbieter im Wettbewerb mit IBM, Nixdorf, NCR und all den anderen Großen. Keine Problemstellung war ihm zu schwierig.

 

 1980-1990

Sein Bruder wurde Mitgesellschafter und auch seine Tochter arbeitete im Unternehmen mit. Sein Traum ein Familienunternehmen aufzubauen schien Realität zu werden. Die rasante Entwicklung in der IT-Branche brachte das kleine Unternehmen immer wieder an seine Grenzen. H.-Werner kämpfte und forderte den Bruder, seine beiden Kinder und auch die Mitarbeiter, alles zu geben um immer auf dem neuesten Stand zu sein und mit Leistung und innovativen Produkten bestehen zu können. Auf der Cebit in Hannover und Systems in München wurden die Kunden gewonnen und mit ihnen mussten immer wieder neue EDV-Lösungen entwickelt werden. Daneben mussten neue Vertriebsstrategien entwickelt, technischer Support und Hotline eingerichtet werden. Das Unternehmen mit 15 Mitarbeitern war bald bekannt für seine Leistungen. H.-Werner war Geschäftsführer, Entwickler, Designer, Verkäufer, Buchhalter, Programmierer und für die vielen tägliche Probleme zuständig.
Im Sciencepark in Ulm gründete H.-Werner eine Niederlassung zur Förderung der Zusammenarbeit mit Universitäten und Fachhochschulen. Vertretungen seiner Firma entstanden im gesamten Bundesgebiet, in Österreich und in der Schweiz.
1984 wurde das neue Wohnhaus bezogen, Tochter Johanna kam zur Welt und H.-Werner wurde als Kandidat der Freien Wähler in den Gemeinderat gewählt. Er hatte die FDP im Zorn verlassen, weil er Äußerungen der Jungliberalen über Maria und den Papst als Schmähungen empfand.

1988 wurde sein viertes Kind, Andreas, geboren. Sein Sohn aus der ersten Ehe wollte selbstständig, vom Vater unabhängig sein und verließ die Firma, bald darauf auch seine Tochter. Der Traum vom Familienbetrieb war ausgeträumt. H.-Werner und weitere Mitarbeiter mussten die Lücken schließen. Das Unternehmen wuchs dank immer stärkerer Spezialisierung auf besonders leistungsfähige Lösungen für die Zeiterfassung- und das Betriebsdatenmanagement.

H.-Werners Frau hatte mit dem Wandel im Einzelhandel durch das Vordringen der Kettenläden und Supermärkte zu kämpfen. Dank der Mütter von H.-Werner und Elisabeth konnten die Anforderungen in Geschäft und Familie bewältigt werden, wobei H.-Werner als Gemeinderat wenig zu Hause war. Die beiden Kinder bezog er zwangsläufig in die geschäftlichen und politischen Aktivitäten mit ein.
Schon in jungen Jahren litt H.-Werner unter Schmerzen und Kreislaufbeschwerden, deren Ursache nicht festgestellt werden konnte. Vegetative Störungen lautete die regelmäßige Diagnose und behandelt wurde mit Psychopharmaka und Tranquilizer. Die Schmerzen wurden über die Jahre immer heftiger, suchten sich immer neue Körperregionen, dazu kamen Tinnitus und Schlafstörungen.
H.-Werner wurde bewusst, dass er nicht nur in Beruf und Politik kämpfte, sondern auch viel Energie brauchte um diesen weiblichen Teil in sich nieder zu kämpfen. Aber er sah keine Möglichkeit mit irgendjemanden darüber zu sprechen, konnte sich auch keine Lösung vorstellen und er meinte, dass er stärker an seinem männlichen Erscheinungsbild arbeiten müsse. So hatten alle Persönlichkeitstrainings, die er besuchte für ihn auch das Ziel ein starker Mann zu werden. Dass er sich dabei mehr schadete als nutzte, konnte er nicht wissen. So wurde er immer kränker. Die Tage wurden für ihn und seine Umwelt zur Qual.

 

 1990-2000

H.-Werners Gesundheitszustand wurde immer schlechter. Ärzte und Unternehmensberater legten ihm dringend nahe für Entlastung in der Geschäftsführung zu sorgen. Nachdem weder sein Sohn noch sein Bruder Verantwortung für das Unternehmen übernehmen wollten, begann er nach einem Nachfolger zu suchen und glaubte, ihn in einem jungen Mann gefunden zu haben, dem das IT-Marketing im Blut zu stecken schien. Und genau das war der vernachlässigte Bereich des Unternehmens, da H.-Werner viel zu sehr in die Entwicklung und Unternehmensführung eingespannt war. Alles deutete auf eine ideale Ergänzung hin und nach einer 6-monatigen Probezeit beschlossen beide eine Zusammenarbeit. Der neue Mann setzte H.-Werner unter Druck, wollte nicht Partner, sondern Inhaber und Geschäftsführer sein. Schweren Herzens verkaufte ihm H.-Werner das Unternehmen, übertrug die Geschäftsleitung und wurde Angestellter im ehemals eigenen Unternehmen.

H.-Werner 1996

Rückzug

Es kam zu Meinungsverschiedenheiten und gravierend unterschiedlichen Auffassungen in der Geschäftsführung. Im Juli 1997 wurde H.-Werner nach einem Zusammenbruch als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert. Zehn Tage lang bemühten sich Ärzte um ihn und er erlebte plötzlich, was es bedeutet passiv zu sein, von anderen umsorgt. Alle Untersuchungen erbrachten keinen Befund, deshalb sollte H.-Werner in eine Klinik für psychosomatische Krankheiten. Er empfand dies als Zeitverschwendung und nahm seine Arbeit wieder auf. Wenige Wochen später gab es wieder zwei Zusammenbrüche mit stationärer Einlieferung. Als suizidgefährdet wurde er gezwungen sich dem Psychologen vorzustellen. Er erfuhr, dass man auch seelisch krank sein kann und meinte zunächst, dass er einfach lernen müsse, wie man mit seelischen Problemen umzugehen hat, ganz nach der bewährten Methode „Du musst Dir immer selber helfen können und verlasse dich nie auf andere“.

Verlust des Lebenswerkes und Arbeitslosigkeit

Er hatte auch gleich eine Geschäftsidee. Seine Erfahrung als Unternehmer verbunden mit psychologischem Wissen, er nannte es „Emotionales Management“, sah er als ein hervorragendes Beratungsangebot für Unternehmen.
Inzwischen war er bereit zu einer ambulanten Therapie, belegte aber gleichzeitig eine 3-jährige nebenberufliche Ausbildung zum psychologischen Berater an der Paracelsus-Schule. Auf Anraten des Therapeuten arbeitete er nun nicht mehr in den Betriebsgebäuden den Erniedrigungen des neuen Inhabers ausgeliefert, sondern lieferte von zu Hause aus die Leistungen, die man von ihm erwartete. Nun aber stand er nicht mehr für das Lösen der vielen Alltagsprobleme zur Verfügung und die Arbeit wurde für den jungen Geschäftsführer schwieriger, war er doch gewohnt eher das große Rad zu drehen und anderen die „Kleinigkeiten“ zu überlassen. Dazu kam, dass das von H.-Werner entwickelte Vertriebskontrollsystem und die EDV-gestützte Aufgabenplanung auch ihn kontrollierte und gegenüber den Mitarbeitern unter Druck setzte. So hatte er sich die Selbstständigkeit nicht vorgestellt. In einer Nacht im November des Jahres 1997 meldete er per Fax Konkurs an. Dem Konkursverwalter ließ er noch wissen, dass er „keine Lust mehr hatte“ und verschwand für immer. Die restlichen Zahlungen des vereinbarten Kaufpreises blieben aus, zusätzlich musste H.-Werner eine Bürgerschaft, die er angeblich für seinen Nachfolger geleistet hatte, einlösen. H.-Werner wusste, dass die Unterschrift gefälscht war, hatte aber nicht mehr die Kraft sein Recht über die Gerichte durchzusetzen.

Die Mitarbeiter und H.-Werner waren über Nacht arbeitslos, obwohl die Firma mit Aufträgen mehr als ausgelastet war. Sie gingen gemeinsam zum Arbeitsamt und sie alle erlebten das erste Mal, was es bedeutet Arbeitssuchende zu sein und auch, dass jeder für sich selbst nach Lösungen suchen musste. H.-Werners Bewerbung wurde auf einen großen Berg gelegt mit der Bemerkung, er möge doch in 3 Monaten wieder kommen.

 Verantwortung für Mitarbeiter und Kunden

Nach wie vor fühlte er sich seinen früheren Mitarbeitern und auch seinen Kunden gegenüber in der Verantwortung. Hatten sie doch im Vertrauen auf seine Seriosität EDV-Investitionen bei ihm getätigt, von deren Funktionsfähigkeit ihre Unternehmen abhängig waren. Als ein von den Produkten begeisterter Kunde Interesse an der Fortführung des Unternehmens bekundete und auch einen Vorschlag für einen weiteren Partner aus der EDV-Branche hatte, organisierte H.-Werner eine nahtlose Betreuung der Kunden und sorgte für einen möglichst schnellen Neustart ohne selbst wieder am Unternehmen beteiligt zu sein. Alle Mitarbeiter wurden wieder beschäftigt, ein Geschäftsführer und weiterer Abteilungsleiter wurden von dem jetzt beteiligten EDV-Unternehmen eingesetzt. H.-Werner brachte als externer Berater seine Erfahrungen ein und dokumentierte sein Wissen, damit es von den Neuen übernommen werden konnte. Niemand ahnte, dass es Ziel eines Gesellschafters war das Know-how möglichst schnell abzuziehen um dann den Betrieb zu schließen. Für alle überraschend kam dann Ende 1999 die Nachricht, dass der Betrieb geschlossen und Insolvenz angemeldet wird. Als die Hintergründe ruchbar wurden und auch noch aus dem Umfeld des Gesellschafters, der vorher die leitendenden Personen gestellt hatte, ein Angebot an den Konkursverwalter zur Übernahme der Hard- und Softwarerechte kam, gab H.-Werner ein Gegengebot ab und erhielt die Rechte.

 

 2000-2010

In Partnerschaft mit einer früheren Mitarbeiterin sorgte er für die Umstellung der EDV-Anwendungen bei den Kunden zur Jahrtausendwende und sicherte den Hardwareservice durch Kauf aller Ersatzteile und Konstruktionsunterlagen. Er war jetzt Servicetechniker für seine von ihm ehemals entwickelten Produkte. Eine Tätigkeit, die er selbst erst lernen musste, hatte er doch vorher dafür seine Leute. Wichtig für ihn war, dass seine Kundschaft abgesichert war. Schmerzvoll war für ihn, seine ehemaligen Kunden zu unterstützen bei der Beschaffung von Systemen, die die von ihm entwickelten und gelieferten Systeme ablösen sollten. Wiederum verstand er es als seine Verpflichtung denen zu helfen, die ihm einst vertrauten.

Persönlicher Umbruch

Gleichzeitig änderte sich Entscheidendes. Der Psychologe, der H.-Werner betreute, erkannte eine Persönlichkeitsstörung und überwies ihn zur weiteren Abklärung an einen auf diesem Gebiet erfahrenen Professor an der Universitätsklinik in Ulm. H.-Werner wurde mit der Diagnose Transidentität konfrontiert, hatte jetzt zwar eine Erklärung für seinen Jahrzehnte dauernden Kampf mit sich, aber keine Lösung.
Der Weg, den der Therapeut aufzeichnete, schien ihm unmöglich realisierbar. Zwar war er jetzt wenigstens nicht mehr mit seinem Problem alleine, aber es war für ihn unvorstellbar, dass er den Weg aus der Transidentität gehen und als Frau leben könnte. Er hoffte, dass er auch dieses Problem lösen würde, wie so viele Probleme in seinem Leben. Andererseits aber erfuhr er von anderen in Selbsthilfegruppen, dass es möglich und realisierbar ist sein eigentliches Ich anzunehmen, nicht mehr im Verborgenen dieses Ich auszuprobieren wie es H.-Werner seit über 20 Jahren tat und dass man sich nicht schämen und verstecken muss. Und er probierte es. Er ging zu Treffen der Selbsthilfegruppen so gekleidet und gerichtet wie er sich in Wirklichkeit empfand. Er war Frau und wurde in der Öffentlichkeit so angenommen. Dieses „Angenommen werden“ hat ihn dann fast umgehauen, machte ihn glücklich, verzweifelt und wütend. Das Zurück in die männliche Verkleidung wurde immer unerträglicher. Es wäre wohl zum Suizid gekommen, wären nicht seine Frau und der Therapeut gewesen. Der Therapeut zeigte den Weg auf, und seine Frau machte ihm Mut und versprach zu ihm zu stehen, egal was da komme. Nun ging alles sehr schnell. Antrag zur Vornamensänderung, Zuziehung weiterer Gutachter und Beginn des Alltagstests. Zuerst im Umfeld seines neuen Tätigkeitsfeldes, der Psychologie. Die Ausbildung zum psychologischen Berater und eine Zusatzausbildung in integrierter, lösungsorientierter Psychologie hatte er 2001 abgeschlossen. Hier sah er die Möglichkeit später einmal als Frau arbeiten zu können. 2002 arbeitete er als Assistentin in einem Seminar seines Ausbilders, und hier wechselte er vom Mann zur Frau. Es waren viele positive Erfahrungen, die Mut machten. Gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern wurde der Tag bestimmt, an dem der Alltagstest auch im Heimatort fortgesetzt werden sollte.

Angekommen im neuen Leben

Am 2. April 2003, ein Tag nach seinem 25. Hochzeitstag, war es dann soweit. Mit 80 Briefen outete sich H.-Werner, jetzt Susanne, in dem Ort, in dem er aufgewachsen, als Familienvater, Unternehmer, Vereinsvorstand und Gemeinderat bekannt war. Seine Frau mit ihrem Geschäft im Ort und seine vier Kinder haben die ersten Reaktionen abbekommen. Susanne war überrascht doch viel Unterstützung zu bekommen. Seine Frau bekam viele Ratschläge unter anderem auch, sie solle Susanne rausschmeißen, das Haus verkaufen und wegziehen. Die Familie aber hielt zusammen und gewann immer mehr Menschen, die anderen wiederum die Problematik erklärten und um Verständnis warben. Susanne ging konsequent ihrer Tätigkeit im Service für ihre Kunden nach, kam jetzt als Technikerin und die Kunden gewöhnten sich daran, dass nun eine nicht mehr ganz junge Frau mit Lötkolben und Messgeräten hantiert und ihre defekten Geräte repariert. Ihre neuen Leistungen als psychologische Beraterin wurden immer mehr angenommen. Sie schrieb mit einem Kollegen ein Buch für „Männer die Frauen besser verstehen wollen“ und arbeitete in unterschiedlichsten Arbeitskreisen mit. Im Juli 2003 wurde der neue Vorname lt. § 1 Transsexuellengesetz amtlich eingetragen. Zwei weitere Gutachten und die Indikation zur Geschlechtsumwandlung ermöglichten Susanne die Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operation im November 2003. Erst 2010 erhielt Susanne a. G. einer vom Bundestag beschlossenen Änderung im Transsexuellen-Gesetz, in der Geburtsurkunde den Eintrag „weiblich“. Das wurde wie ein Geburtstag in der Familie gefeiert. Vor dieser Änderung hätten sich Elisabeth und Susanne scheiden lassen müssen, um diesen Eintrag zu ermöglichen. Nun sind sie eines der wenigen richtig verheirateten gleichgeschlechtlichen Paare in der Bundesrepublik.

Susanne mit Sohn

Susanne lebt Susanne ganz normal als Teil ihrer Familie und ist mit fast 69 Jahren vielfältig beschäftigt. Sie stellt den technischen Service für die Zeit- und Betriebsdatenerfassungssyteme die H.-Werners Firma geliefert hatte und programmiert Internetanwendungen. Sie führt ihre kleine psychologische Beratungspraxis, macht Workshops und Seminare zur Verbesserung der Kommunikation für Private und Firmen. Sie hilft Ihrer Partnerin als Buchhalterin, im Bestellwesen und in der Werbung. Sie führt zum großen Teil den Haushalt, engagiert sich im historischen Verein und in der Vorstandschaft im Babenhauser Fremdenverkehrsverein. Sie freut sich, dass ihre früheren Mitarbeiter zweimal jährlich ein Treffen organisieren und sie dazu einladen. Hier erfährt sie immer wieder, dass sie einmal ein ganz passabler Chef war.

Eine Mitarbeiterin hat mir (der Verfasserin) in einem Email folgendes geschrieben: „Susanne war ca. 16 Jahre mein Chef. Sie war oft ungeduldig und aufbrausend, was wir heute natürlich besser verstehen. Sie konnte sehr fordernd sein, aber sie war der beste Chef, den man sich vorstellen kann. Sie war immer für uns da. Wir wussten, dass sie sich, wenn wir Fehler machten, immer vor uns stellt, und sie hatte bei Problemen immer Verständnis für uns. Susanne ist sehr innovativ, dadurch waren wir immer gefordert und wurden ständig vor neue Aufgaben gestellt. Wir haben den oft sehr stressigen Alltag hauptsächlich ihr zuliebe auf uns genommen, und es hat einfach Spaß gemacht dort zu arbeiten.“

Bootseigner der von H.-Werner gebauten Jollen- und Jollenkreuzer fragen bei fälligen Reparaturen heute noch um Rat und sie erfährt wie zufrieden sie mit dem einstmaligen Erwerb sind. Ihre Hobbies sind Tanzen und die Bearbeitung ihres Multimedia-Archiv aus den letzten 40 Jahren. Sie hat begonnen Material zu sammeln für eine Chronik ihres Lebens um, wie sie sagt „ Vieles zu verstehen, was an mir einfach so vorbei gegangen ist“.

Susanne beim Filme schneiden

Ich, die Verfasserin dieses Beitrags, habe auch ihren jüngsten Sohn befragt und er hat in einem kurzen Beitrag einige ihrer Eigenschaften aus seiner Sicht beschrieben. Er schrieb mir:
„Susanne hat sich schon immer viele Gedanken um uns gemacht und investiert auch viel Zeit in die Lösung von Problemen. Seien es nun persönliche Probleme, die durch Gespräche gelöst werden konnten, oder Fragen rund ums Haus, die durch raffinierte Konstruktionen umgesetzt wurden. Besonders bei Beziehungsproblemen kann ich mich ihr anvertrauen und bin froh, wenn Sie mir dann mit ihrer psychologischen Erfahrung helfen kann. Egal in welchem Bereich, sie liefert nie Halbfertiges ab. Sie ist in allen Bereichen, wie Politik, Vereine, Familie und Geschäft mit allen Kräften dabei. Eine Eigenschaft um die ich sie beneide, da ich schnell dazu neige bei Problemen, das Handtuch zu werfen. Auch ihre Geschenke zeigen wie viele Gedanken sie sich um uns macht, da sie oft unausgesprochene Wünsche erfüllt. Während meiner Schulzeit gab es oft verschiedene Ansichten, was den Arbeitsaufwand betrifft um die nächste Jahrgangsstufe zu erreichen. Ich war mir aber immer bewusst, dass Susanne es eigentlich wirklich gut mit mir meint, weil sie immer an mich glaubte, auch wenn die Gefahr bestand, dass ich mir durch meine Faulheit einiges versaute. Im Sommer 2008 konnte Susanne dann auch endlich aufatmen, da wir auf mein Abitur anstoßen konnten. Einer Meinung sind wir beide immer, wenn es um Investitionen in die neueste Unterhaltungs- und Computertechnik geht. Wir können uns beide für Technik begeistern und uns gegenseitig zum Kauf eines neuen PCs, Kamera, Handy oder sonstigen Dingen, die man eigentlich nicht braucht, anregen, sehr zum Unverständnis meiner Mutter.“

Ich selbst habe Susanne erst in den 90er Jahren näher kennen gelernt. Im Nachhinein ist es für mich verblüffend wie wenig sie sich anmerken ließ. Aus diesen Jahren fallen mir drei Bilder ein, die wie von einem Scheinwerfer beleuchtet in meiner Erinnerung aufgeblendet werden.

Das früheste Bild entstand bei einer Aktion des Marktes Babenhausen, als wir in strömendem Regen Müll sammelten. Susanne, damals noch Hans-Werner, stand mit mir auf dem Anhänger des Traktors, einen kaputten Schirm aufgespannt, inmitten von alten Flaschen, Plastikmüll und sonstigem Abfall und sagte: „Ich möchte mit diesem Müll begraben werden, wenn dann in 200 Jahren jemand mein Grab findet, meint der, dass ich ein bedeutender Fürst war, weil ich so viele Grabbeigaben bekommen habe.“

Das zweite Bild entstand in der Jugendbildungsstätte, als Hans-Werner einen Vortrag hielt. Ich bemerkte, dass er in jedem Ohr einen kleinen goldenen Ohrstecker hatte. Ich sagte noch was von Knopf im Ohr. Er überging die Bemerkung, und ich wäre nie im Leben darauf gekommen, dass Hans-Werner bei unserer nächsten Begegnung Susanne heißen würde.

Das dritte Bild zeigt eine Szene beim Bäcker kurz nach ihrem Outing. Ich sah Susanne zum ersten Mal und war etwas unsicher, wie ich mit der ungewöhnlichen Situation umgehen sollte. Allerdings konnte ich mich dann doch recht schnell umstellen, denn für mich ist es völlig selbstverständlich als Frau zu leben.

Die in diesem Abschnitt gestellten Fragen möchte ich, die Verfasserin d.T., a. G. eines Gesprächs mit Susanne beantworten.

Susanne, zweifellos hatten Eindrücke in der Kindheit und Dein Elternhaus großen Einfluss auf deine Entwicklung:

Erste Erinnerungen drehen sich um München im Krieg. Heulen der Sirenen, Rennen in die Luftschutzräume im Bahnhof und die verzweifelte Suche nach meinem Großvater bei dem abgeschossenen Flugzeug wiederholt sich bis heute immer wieder in meinen Träumen. Die Hitze im Dachboden der Nagelfabrik. Die vielen Menschen im Haus und Zusammenbrüche meiner Mutter. Das ohrenbetäubende Schlagen der Nagelmaschinen, der ölig-schwarze Arbeitsanzug meines Vaters und die Strenge meiner Mutter. Die sonntäglichen Spaziergänge, das erschöpfte und irgendwie erleichterte Zusammensacken nach einer Tracht Prügel.

Eisenbahn und Bahnhöfe kommen immer wieder in deinen Erzählungen vor:

Wenn ich an meine Träume und Empfindungen denke in zweierlei Formen. Einmal spiegeln sie mir Ängste wie „nicht mitzukommen, etwas zu versäumen, verlassen zu werden“; andrerseits auch das schöne Gefühl „anzukommen“. Das habe ich immer erlebt, wenn ich am Freitagabend von Reutlingen nach Hause gekommen, unser Zug in den Sackbahnhof eingefahren ist, wo mich meine Familie und Freunde erwartet haben. Die beiden Buben, die durch meine Mutter aus München in unser Haus gekommen sind, waren da oft dabei. Wir sind immer noch sehr miteinander verbunden. Ich habe sie beneidet für die Konsequenz wie sie, von ihrem Vater geführt, ihren Lebensweg gegangen sind. Es war so viel Ordnung in ihrem Leben im Gegensatz zu meinem. Übrigens dieses Gefühl des zu Hause Ankommens habe ich auch ganz stark nach meinem Outing gehabt. Auch da war diese tiefe Ruhe und Gegenwärtigkeit.

Du erwähnst ganz besonders Ordnung und Gegenwärtigkeit, warum?

Wohl weil es mir sehr gefehlt hat. Gegenwärtigkeit habe ich früh verloren, bin ich doch immer von mir selbst davon gelaufen und konnte eigentlich nur in Zukunftsträumen existieren. In unserem Haus waren viel Aufregung, Veränderungen und das Gefühl von Unsicherheit. Meine Mutter sorgte stets für mustergültige Ordnung und war sehr penibel. Aber diese Unbeständigkeit, immer damit rechnen zu müssen, dass gleich wieder etwas passiert, erzeugte das Gefühl der Unordnung und Zukunftsängste. Darunter hat auch meine Schwester gelitten. Sie war übrigens immer sehr fürsorglich zu mir und ich bin sehr in ihrer Schuld. Sie leidet heftig darunter, dass sie ihren Bruder nicht mehr hat.

Dir ist es doch viel besser gegangen als den anderen Kindern:

Ich hatte alles, was man sich als Kind wünschen konnte. Aber ich hatte ein ungutes Gefühl dabei. Es erschien mir ungerecht, dass es mir so gut und vielen so schlecht ging. Es hat mich ins Abseits geschoben. Lange dachte ich, dass es der Grund war, warum ich mich anders als die anderen fühlte. Für die Jungs war ich der „Mädlafitzeler“ weil ich lieber bei den Mädels war und man war neidisch, weil ich vom Nagelhuber war, aus dem tollen Haus.

Du erwähnst in deinen Erzählungen sehr oft deine Mutter obwohl sie dich…

Du meinst wegen den heftigen Bestrafungen? Ich glaube sie hatte Recht, wenn sie erzählte, ich hätte um die Schläge gebettelt. Wenn dieser Körper, den ich als Kind schon nicht mochte, bestraft wurde, war es für mich gut und irgendwie heilsam. Im Grunde waren meine Eltern sehr fürsorglich und liebevoll. Dass sie manchmal heftig reagierten habe ich später gut verstanden, wenn ich selbst in angeblich ausweglosen Situationen ausgerastet bin.

Deine Mutter hat durch Ihre Regeln und den Ausschluss einer Berufswahl dein Leben sehr beeinflusst:

Nicht nur meine Eltern haben mir Halt und Kraft gegeben. Es war auch vieles was die Großfamilie mir mitgegeben hat. Ich hatte das Glück wunderbare Lehrer zu haben. Sie haben mir Maßstäbe vermittelt, die mir in vielen Situationen präsent waren. Mit zunehmendem Alter wird mir immer mehr meine 87jährige Schwiegermutter zum Vorbild, wie sie Schlimmstes in Ihrem Leben meisterte, Kraft aus ihrem Glauben schöpft und mit den Beschwerden des Alters umgeht. Mein Vater hat mir oft geraten „Stehle mit den Augen, das kann Dir niemand nehmen“. Als ich 1976 vermögenslos war, habe ich da oft dran gedacht. Alles was ich gelernt und erfahren habe konnte ich irgendwann mal wieder brauchen. Deshalb möchte ich auch nie aufhören zu lernen. Meine Mutter hat mir Maßstäbe gegeben, hat mich nie im Stich gelassen und war für mich der Inbegriff von Courage und dem Willen sich nie unterkriegen zu lassen. Auch das Einmischen bei Ungerechtigkeiten und das ständige Suchen nach Problemlösungen habe ich sicher von ihr. Zweimal habe ich versucht sie für eine eigene Berufswahl zu gewinnen. Im Kolleg der Schulbrüder fühlte ich mich wohl, obwohl ich kein guter Schüler war. Ich fühlte mich irgendwie beschützt. In dieser Umgebung wäre ich gerne geblieben und äußerte den Wunsch in den Orden zu gehen oder Priester zu werden. Das fand sie genauso aus einer Laune heraus geboren wie die Idee ins Hotelfach zu gehen. Allerdings glaube ich noch heute, dass ich da früher den Weg aus der Transidentität gefunden hätte.

Da wäre aber doch Dein ganzes technisches Geschick ungenutzt geblieben.

Ich habe nach meinem Outing oft hören müssen, dass meine technische Orientierung nicht zu meinem weiblichen Empfinden passt. Ich glaube, das hat mit etwas ganz anderem, mit Ordnung und Ruhe zu tun. Das geht schon in früher Kindheit los. Wenn die Maschinen in der Fabrik alle in Betrieb waren, waren meine Eltern zufrieden. Je größer der Lärm in der Fabrik war, umso ruhiger das Familienleben. Wenn ich mit dem Baukasten was Funktionierendes baute, wurde ich gelobt und man war stolz auf mich. Diese Erfahrungen sind mir geblieben. Mit Technik identifiziere ich Lösung, Erfolg und Zufriedenheit, und es hilft mir noch heute, wenn es mir mal schlecht geht und ich dann z.B. ein eigenes Programm auf dem PC zum Laufen kriege.

Deine Geschäftsideen waren auf Dauer nicht sonderlich erfolgreich:

Was ist schon Erfolg? Was wir entwickelt und auf den Markt gebracht haben war super. Ich bin stolz auf unsere Produkte und es tut mir gut, wenn Bootseigner in Internetforen meine Jollen loben, unsere Betriebsdatenmanagementsysteme noch heute im Einsatz sind und meine früheren Mitarbeiter, aus heutiger Erfahrung, unsere damaligen Leistungen bewundern. Ohne diese guten Leute hätte ich das nicht geschafft. Dazu gehören auch meine beiden Kinder aus erster Ehe und mein Bruder. Schade, dass mich die Kräfte zu früh verlassen haben, ich damals zu wenig Menschenkenntnis hatte und es mir nicht gelungen ist, dieses Team zusammen zu halten. Auch meine beiden Partnerinnen haben mir durch ihr Engagement enorm geholfen. Finanziell ist mir nicht viel geblieben, habe aber immer noch eine Existenz, die auf dem Erarbeiteten aufbaut. Damit kann ich einen Beitrag zur Ausbildung meiner Kinder leisten. Von meinem Know-how profitiert meine Familie noch ständig.

Du warst lange politisch und bist noch heute in Vereinen aktiv. Ist das für dich wichtig?

Mir sind dieses Babenhausen und die Menschen hier sehr wichtig. Die politische Zeit aber war schlimm. Diese Hahnenkämpfe haben mir den Rest gegeben. Es ist frustrierend, wie wenig ich trotz hohem Einsatz erreicht habe. Vielleicht habe ich etwas mehr Gerechtigkeit erreicht. Es ist noch schwer für mich, aber ich arbeite daran, mich nicht mehr einzumischen.

Dein Outing war für uns und Deine Familie ein Hammer:

Ja ich habe vielen vieles zugemutet. Es war für uns alle sehr schwierig. Schritt für Schritt und sehr behutsam habe ich versucht neues Vertrauen und Akzeptanz zu gewinnen. Um nicht zu verzagen habe ich mir die Strategie 1:3 zugelegt. Hat eine Person weggeschaut, blieb ich so lange im Ort und unter Menschen bis mich drei anlächelten. Ich wusste, dass man in dieser Situation nichts einfordern kann. Geduldig sein und Zeit geben, sich in die anderen rein versetzen und spüren wann was möglich ist. Es bedrückt schon sehr, wenn nahestehende Menschen mich mit Missachtung bestrafen und mir keine Gelegenheit für eine Erklärung geben. Da kann ich nur versuchen zu verzeihen und es zu verstehen. Manchmal hat es sich nach Jahren gelöst und das ist dann ein ganz besonderes Erlebnis.

Ich bin sehr bescheiden und demütig geworden und unendlich dankbar den vielen, die mich spontan oder nach langem Ringen angenommen haben. Den wenigen, die es nicht schaffen mich zu akzeptieren, möchte ich sagen, dass ich es verstehe. Ich bin schon dankbar, wenn sie mir mein Glück und diese sagenhafte Erlösung gönnen.

Ich weiß, dass meine Geschwister und die meiner Frau mit ihren Familien, meine vier Kinder, meine Enkeltochter und besonders meine Frau unendlich tapfer sind. Ich denke dass sie, um mich zu schonen, ihr Empfinden nicht ganz offenbart haben. Ich bete dafür, dass sie mir in ihren Herzen in Liebe verbunden bleiben können.

Wandelmut

Die Geschichte von Susanne Huber ist im Rahmen des Projektes „Was für ein Leben!“ verfilmt worden. Die Biografiefilme, die aus dem Biografie-Wettbewerb hervorgegangen sind, können Sie bei uns als DVD erwerben.

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