Nila E. Sebastian

Schreiben im Schatten des Coronavirus

Als mich am 22.2.2020, einen Tag nach meinem 84. Geburtstag am 21. Februar, die Einladung von Frau Brötzmann erreichte, an diesem Biografieforum teilzunehmen, war dies wie ein Geburtstagsgeschenk. Hatte ich doch vergeblich versucht, meine 2005 erschienen Lebenserinnerungen bis zum Jahr 1970 übers Internet einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Damals war das Coronavirus nicht nur für uns in Berlin noch eine ferne Gefahr. Am 26. Februar wurde am Rhein wie bisher fröhlich Rosenmontag gefeiert. Erst Anfang März wurde langsam klar, dass sich Corona rasant ausbreiten würde. Jetzt liegt die Stadt wie im Dornröschenschlaf, während das Leben der meisten durcheinander gerüttelt wird und es kaum noch (auch materielle) Sicherheiten gibt. Alle Medien ändern ständig ihr Programm, es gibt anscheinend auf der ganzen Welt nur noch ein Thema. Das „neuartige“ Coronavirus.
Als ich mein 80 Jahre bewusst erfahrenes Leben betrachtete, wurde mir klar, dass es einen Plan für mein ganzes Leben gibt. Es sind unzählige Ereignisse, wo ich wie eine Marionette an einen bestimmten Platz, in eine bestimmte Situation gezogen oder geschoben worden bin. Wo bestimmte Geschehnisse sich erst fünf bis zehn Jahre später auf mein Leben auswirkten. Augenblicklich erfasste mich eine Zuversicht, dass mir nichts geschehen wird, was mir nicht vorbestimmt ist. Meine Angst davor, meinen Liebsten zu verlassen oder von ihm verlassen zu werden, ist verschwunden. Ich bin ganz ruhig und gelassen. Diese Gewissheit lässst mich diesen Text schreiben, ohne dass ich fürchte, es könnte vergebens sein. Das bedeutet nicht, dass ich alles auf mich zukommen lasse, oft handle ich spontan, wenn ich das Gefühl habe, es stimmt. Manchmal zaudere ich, und das erweist sich als richtig, wenn die Sache noch nicht spruchreif war.
Noch ein anderer roter Faden zieht sich durch mein Leben. Selbst Krankheiten und Unfälle erwiesen sich letztendlich als Geschenke. Oder auch im Beruf. Während meiner Anstellung an der TU Berlin wurde ich gegen meinen Willen zur Erziehungswissenschaft versetzt. Ich regte mich ziemlich auf. Doch wenn ich im FB Maschinenbau geblieben wäre, hätte ich nicht gelernt am PC zu areiten und letztendlich meine Lebenserinnerungen „Wege und Umwege“ wohl nicht geschrieben. Die Adresse des Verlags fand ich in einer Zitty im Müllcontainer.
Aus den vielen Erlebnissen möchte ich einige herausgreifen.
BVG und RBB Berlin hatten im März 2015 ein Publikumsprojekt, bei dem auf der U-Bahnlinie 2 anlässlich des Jubiläums von Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ die Stationen der U 2 von normalen Berlinerinnen und Berlinern angesagt wurden. Weil mich eine Station der U 7 von schicksalhafter Bedeutung, träumte ich davon, einmal anzusagen: „Nächster Halt: Eisenacher Straße. Ich bin Nila Sebastian und in Eisenach geboren. Als ich am 1. Juli 1978 gegen Abend hier ausstieg, ahnte ich nicht, dass ich den Mann meines Lebens treffen würde, mit dem ich noch immer verheiratet bin. Also liebe Fahrgäste, wenn Sie hier aussteigen, vergessen Sie nicht, dass das Abenteuer womöglich hinter der nächsten Ecke auf Sie wartet.“
Diese Geschichte hatt einen langen Vorlauf. 1970 war ich im MV bei einer kirchlichen Adventsfeier des Vereins alleinstehnder Mütter und Väter. Eine Mutter erzählte, sie leite ein Laientheater und lud dazu ein. Sechs Jahre später begegnete ich Ruth nach einer Aufführung von Marcel Marceau. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählte, dass sie für Tankred Dorsts Große Schmährede an der Stadtmauer einen Darsteller suchte. Ein Freund, der mich begleitete, wollte sich im Theaterspielen versuchen und ergriff die Gelegenheit. Auch ich ging mit zu den wöchentlichen Treffen. Da es aber danach sehr schwierig war, nachts nachhause ins MV zu kommen, gab ich es auf. Ruth lud mich aber immer zu den Aufführungen der Gruppe ein. So auch in den Kulturklub Weiße Rose am Wartburgplatz. Da ich fast alle Leute kannte, fiel mir ein dunkelblonder langhaariger junger Mann mit Bart auf. Er trug eine Trachtenweste und hatte einen schwarz-roten Stern ans Hemd gesteckt. Ich fragte ihn nach der Bedeutung des Sterns. Es sei der Stern der Anarchisten. Dass er aus Oberbayern kam, war leicht zu hören. Nach der Aufführung gingen Schauspieler und Zuschauer gemeinsam zum Südamerikaner in der Hauptstraße, um noch etwas zu essen. Diese Julinacht war so schön, dass wir noch zu einem Fest auf dem Hof eines Abrisshauses nach Kreuzberg fuhren, um zu tanzen. Dort unterhielt ich mich wieder mit Engelbert. Er bat mich um einen Kuss und sagte etwas rätselhaft: Das ändert auch nichts. Viel lieber hätte ich mit Ulli getanzt, den ich schon länger kannte. Da Engelbert zwei Straßen weiter wohnte, bot er mir an, mit zu ihm zu gehen, damit ich nicht in aller Herrgottsfrühe ins entfernte Märkische Viertel fahren musste. Als ich mich von Ulli verabschiedete, fragte Engelbert ungeduldig: Kommst du jetzt endlich oder nicht? Ich ging mit ihm durch den sonnigen Sonntagmorgen zu seinem Haus. Wir stiegen in den vierten Stock, wo er mit zwei anderen Männern wohnte. Überraschung. In seinem Bett lag ein fremder Mann, den ein Mitbewohner von einem Fest am Mariannenplatz mitgebracht und ihm das noch leere Bett angeboten hatte. Der Fremde räumte verschlafen Bett und Zimmer. Auf der breiten Matratze liegend, dachte ich: Schade, da ist ein Mann, dem ich gefalle und der mich mag, aber ich fühle nichts für ihn. Engelbert legte sich neben mich, ohne mich zu bedrängen. Ich drehte mich auf den Bauch und bat ihn, meinen Rücken zu streicheln. Als seine Hand meinen Rücken berührte, durchrieselte mich ein Schauer. Es war, als hätte er einen verborgenen Mechanismus berührt und ein Geheimfach meiner Seele geöffnet. Eine warme Woge durchflutete mein Herz, als sei die Liebe vom Himmel gefallen.
Eigentlich deutete alles auf eine kurze Affäre hin, weil diese Partnerschaft gegen alle gängigen Klischees war. Doch offenbar setzte das Universum alles in Bewegung, dass wir ein Paar wurden. Eine 42jährige alleinerziehende und alleinverdienende Frau mit zwei Söhnen und Engelbert, 28, der gerade an der SFE sein Abitur geschmissen hatte und beim Sklavenhändler arbeitete. Kaum jemand gab unserer Beziehung eine Chance. Engelbert selbst meinte, er sei nicht bindungsfähig und ich hatte große Angst wieder von einem Mann verlassen zu werden oder ihn durch klammern zu verscheuchen. Doch wir liebten beide die Berge und verbrachten unvergessliche Urlaubstage im Berchtesgadener Land, in Österreich und in den Dolomiten. Wir flogen auch nach Griechenland. Meine beiden Söhne (10 und 13) mochten ihn und waren nie eifersüchtig.
Anfang 78 hatte ich eine dreiwöchige Primärtherapie gemacht und war dann zu einigen Primärmarathons nach Stuttgart gefahren. Aber wie Alice Miller beschrieb, stieg der seelische Schmerz ständig wieder hoch, nachdem er eine Öffnung gefunden hatte. Manchmal fühlte ich mich aber auch gut und die schönen Erlebnisse waren tiefgehender als früher. Der seelische Schmerz beim Aufwachen begleitete mich über Jahrzehnte. Lange verstand mich niemand, Ein Therapeut lachte mich aus, andere waren hilflos. Doch plötzlich redeten und schrieben viele Leute über den seelischen Schmerz. Ich konnte den Schmerz als einen Freund betrachten und schrieb im Sein darüber. Seitdem quält er mich nicht mehr.
Nach meiner gescheiterten ersten Ehe war ich nicht scharf darauf, wieder zu heiraten. Engelbert wollte sowieso nicht heiraten. Wir hatten oft erlebt, dass sich Paare, die jahrelang unverheiratet zusammengelebt hatten, kurze Zeit nach der Hochzeit wieder scheiden ließen. Obwohl wir in unserer Beziehung auch Krisen nicht ausblieben, haben wir an Nikolaus 2001 geheiratet. Eher aus praktischen Gründen. Eine Eigentumswohnung. Wir kauften keine Trauringe. Trotzdem war es eine bewusste Entscheidung füreinander. Die private Hochzeitsfeier begannen wir mit einem Ritual, in dem wir uns gegenseitig sagten, was wir in all den Jahren für einander geworden waren. Die Worte kamen direkt aus unseren Herzen. Seitdem ist alles ständig inniger geworden. Es geht mir immer noch durch und durch, wenn Engelbert mich berührt oder umarmt. Wir sind immer noch verliebt und erleben eine Nähe, die guttut.

Hier einige Zahlen:

Über 30 Jahre seit dem Mauerfall, über 20 Jahre in Rente, über 50 Jahre im Berliner Westen, 49 Jahre geschieden und seit 41 Jahren mit meiner großen Liebe zusammen, dass sind meine Jahreszahlen. Trotz schwieriger Zeiten, gehöre ich zu den Wahlberlinerinnen, die gern in Berlin leben und glücklich sind. Auch möchte ich die Mauer nicht zurück, wie es sich manche Ewiggestrige wünschen. Was wäre denn, wenn? 30 Jahre Mauerfall – allerorts wurde dieses Ereignis gefeiert, an das niemand mehr geglaubt hatte. War dabei noch ein Anflug der Euphorie, von jenem Wunder der sonnigen Novembertage 1989 zu spüren? Fast erinnerte die Stimmung damals an Beethovens „Alle Menschen werden Brüder“. Überall Offenheit, Zugewandtheit, auf den Straßen, in den U-Bahnen, den Supermärkten. Auch wenn die Menschenmenge, die über die Grenzübergänge schwappte, bald zu einer Flut wurde. Selbst wenn die politische Lage heute alles andere als gut ist, für mich und meinen Mann hat der 9. November 89 das Leben unendlich bereichert und wir wünschen uns die Mauer nicht zurück.

Zu meinem Buch:

35 Jahre meines Lebens – über 400 Seiten sind bereits zwischen zwei Buchdeckeln dokumentiert. Und jetzt mit einem Klick herunter zu laden.
Seit ich mit sieben Jahren das Buch Als Mutter ein Kind war gelesen habe, träumte ich davon, ein Buch zu schreiben. In der Schule stand unter meinen Aufsätzen für Inhalt und Ausdruck fast immer: Sehr gut. Damals ahnte ich nicht, welch aufregenden Text das Leben für mich schreiben sollte. Obwohl ich keine Stiefmutter hatte und selbst eine älteste Schwester war, stand ich häufig abseits. Das Leben schüttete mir oft genug die Linsen in die Asche und nur selten flogen Tauben herbei, die mir bei der Arbeit halfen. So las ich Linse für Linse aus der Asche oder dem Sand. Manchmal fand ich Goldkörnchen oder Perlen, aber oft nur Katzengold. Wenn ich die Aufgabe bewältigt hatte und mich unter das Bäumchen stellte, warf es mir gutwillig Geschenke zu.
Obwohl ich auf vielen Festen tanzte, fand ich lange den für mich bestimmten Prinzen nicht. Immer wieder war es wie in dem Kinderlied: Dreh dich um, ich kenn dich nicht, bist du’s oder bist du’s nicht? Nein, nein, du bist es nicht, scher dich weg, ich mag dich nicht . Bis mir der begegnete, der für mich bestimmt war, verging mein halbes Leben. Davon wird in der Fortsetzung zu lesen sein. In diesem Buch geht es um meine Kindheit, mein Leben als junges Mädchen und meine erste gescheiterte Ehe, um Wege, Umwege, Niederlagen und neue Horizonte.
Mit der Hand zu schreiben ist schon längst nicht mehr zeitgemäß. Als ich mich 1960 an einem Wettbewerb für Liebesgeschichten beteiligte, schied mein Beitrag von vornherein aus. Doch meinen Traum, ein Buch zu schreiben, gab ich nie auf. Als ich 1971 Maschine schreiben gelernt hatte, wollte ich mit dem Schreiben meiner Erinnerungen anfangen, wenn ich die Tasten sicherer beherrschte. Doch erst als ich einen PC hatte, begann ich zu schreiben. Weil ich nicht weiterkam, schob ich mein Vorhaben hinaus. Den letzten Anstoß gab mir eine Freundin, die mich ermunterte: Schreib auf, was du erlebt hast. Unbedingt. Ob es veröffentlicht wird oder nicht. So setzte ich mich hin und begann mit dem, was ich in meiner Kindheit erlebt hatte. Nun ist ein Buch daraus geworden, das mein Leben bis Ende 1970 schildert.
Beim Schreiben war es, als säße ich am Ufer des Meeres: Die Wellen spülten eine Erinnerung nach der anderen hoch. Ich musste nur eine Hand voll Sand aufnehmen und ihn durch die Finger rieseln lassen. Dabei blieben Muscheln, Steine, Goldkörnchen, aber auch Teerklumpen zurück. Die Geschehnisse aus der Vergangenheit standen mir vor Augen, als sei es gestern gewesen. Vor einiger Zeit erwarb ich ein Buch, in dem für jeden Grad der Tierkreiszeichen ein Symbol beschrieben ist. Der Grad meines Aszendenten zeigt das Bild von zwei Schutzengeln. Wenn ich zurückblicke, sehe ich, dass mich die Engel mein Leben lang begleitet und beschützt haben. Bisweilen begegneten sie mir in Menschengestalt, manchmal spürte ich sie auch in meinem Herzen.
Mag André Heller auch singen: Nichts bleibt schön als das Erfundene, alles andre stiehlt die Zeit, ist keine meiner Erinnerungen erfunden, obwohl es manchmal so scheint. Ein Leben wie meines kann niemand erfinden als das Leben selbst.

Zu den Rezensionen:

Rezension in der ab40 2/2006 von Sophie Behr* (und ehem. Redakteurin beim Spiegel, dem Stern, der TAZ):

… Die Autorin beschreibt die ersten fünfunddreißig Jahre ihres Lebens, eines Lebens, das man als unspektakulär sehen kann. Und als typisch: Ein hübsches, lebhaftes erstes Kind einer religiös gebundenen deutschen Familie, mit „überempfindlichem“ Vater und einer durch fünf Kinder chronisch überforderten Mutter.
Die zweifellos hochbegabte Edeltraud darf nichts als Landwirtschaft lernen – auch das für die Fünf­zigerjahre durchgängige Schicksal vieler aufgeweckter Kinder. Statt ihre geistigen Anlagen auszu­bauen, muss die Tochter überall hinlangen und mit zupacken. Sie lernt viele Mitmenschen von hochherzigen wie niederträchtigen Seiten kennen. Sie ist dabei weder zynisch noch zornig gewor­den. Ihr wirklich phänomenales Gedächtnis ermöglicht es der Autorin, jetzt nach so vielen Jahren, nach Jahrzehnten eine bunte Vielfalt, eine an sich ‚unbeschreibliche‘ Fülle von Ereignissen und Er­lebnissen niederzuschreiben, auszubreiten. Die Erinnerungen ergeben einen bunten Teppich: Leben unter den Nazis, mit den Besatzungsmächten, und in der sich wieder aufbauenden Bun­desrepublik bzw. DDR: Interessanter Weise ist die junge Edeltraud eine ‚Grenzgängerin‘ zwischen Thüringen und Franken.
Ich halte Nila E. Sebastian für ein schreibendes Naturtalent, wie sie so‚ quasi ‚ohne Punkt und Komma‘ über ihr Leben erzählt und dabei mehr über Zeitgeschichte – die junge BRD vor allem – mitteilt als manch geschliffener Essay, als mancher Roman gelernter SchreiberInnen. Neben den vielen dicken Büchern über Schicksale von Männern und Frauen, Tätern und Opfern im gerade abgelaufenen ‚zwanzigsten‘ Jahrhundert kann dieses Werk – eine Art ‚oral history‘ von dessen zweiten Drittel, sich durchaus sehen lassen.
Leicht, fast heiter, fließt die Beschreibung einer Kindheit und Jugend dahin, die allenfalls durch ihre Herkunft aus einer Familie mit gefestigten Grundsätzen privilegiert war. Absichtslos – und dieser Eindruck machte für mich viel der Lesefreude aus – werden NachbarInnen, Verwandte, LehrerInnen, Freundinnen wie auch Fremde in Nila E. Sebastians Lebensteppich eingewebt – Zubereitung wohlschmeckender Speisen, wie sie in einer heute versunken scheinenden Epoche – vor vierzig Jahren! – noch von Hand vorgenommen wurde, macht die Lektüre zusätzlich sinnlich. Sogar der verklemmten und völlig männlich dominierten Sexualität der Fünfziger und frühen Sechziger Jahre gewinnt diese Autobiografin etwas ab: In Träumen, Gedichten, Phantasien schafft sie sich ihre eigene Welt von Liebe, Lust, Zärtlichkeit.
1963 heiratet sie einen Bergmann. Was sie erst später erfährt – ihr Mann ist wegen eines Sexu­aldeliktes vorbestraft. Kurz nach der Geburt des ersten Sohnes wird er erneut straffällig und verurteilt.
Und sie trennt sich nicht von ihm! Warum nicht? habe ich sie gefragt: und du beschreibst oder reflek­tierst nicht einmal jetzt – im Nachhinein – deine Gefühle von damals. Ich war zunächst entsetzt: Sie bleibt bei einem Vergewaltiger, bekommt sogar noch ein zweites Kind von ihm …
Edeltraud, die ich aus meiner politisch aktiven Zeit als allein erziehende Mutter kenne, verteidigt sich nicht. Nachdenklich antwortet sie, sie habe sich wohl damals Gefühle nicht gestattet. (Im Buch heißt es: „Ich geriet in einen Strudel von Polizei, Gefängnisbesuchen, Existenzsorgen und Irrfahrten durch das Revier (Kohlenpott).“ ‚Ganz Unten‘, heißt es dann in Berichten entsprechender männli­cher Literaten. Der jungen Mutter erschien damals Durchhalten oder Durchdrehen als einzige Alternative: „Ich glaube, ich habe einfach nur noch funktioniert“, sagt sie heute über diese Zeit.
1969 ließ der Ehemann nach einer weiteren Straftat seine Familie allein und ging nach Australien.
Wenn wahr ist, dass Menschen Bücher auch deshalb schreiben, um geliebt zu werden, dann bestätige ich: Wege und Umwege, mein Leben zeigt seine Verfasserin als einen ehrlichen, uneitlen, kurzum als einen liebenswerten Menschen. Ich freue mich, dass Nila E. Sebastian – vor über fünfundzwanzig Jahren schon – „noch einmal“ den Mann ihres Lebens kennen gelernt, ihre große Liebe gefunden hat. Und über die Jahre von 1971 – 1978 und über die Zeit mit „Engelbert“ ihr zweites Buch schreibt. (Sophie Behr, Autorin)

*)Sophie Behr starb am 21.2.2015

Sein.de, Editorial in der Zeitschrift Sein 12/2001:

Das Klischee vom „Lieben Gott“ als gütigem oder strafenden alten Mann mit Bart hat ausgedient. Endlich! Lesen wir doch schon in der Bibel: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“ Trotzdem machen wir uns immer wieder Konzepte und Vorstellungen von Gott, Göttern und Göttinnen. Was bleibt, wenn diese zusammenbrechen oder wir den Kinderglauben verlieren? Nur wenn wir alle Vorstellungen aufgeben, können wir eigene Erfahrungen machen, unsere Essenz fühlen und schmecken und uns mit dem Göttlichen verbinden und mit wachem Herzen für die Liebe zu öffnen.
Es fällt uns Menschen schwer, die ganze Verantwortung zu übernehmen und zu akzeptieren, dass jeder Mensch letztlich alleine ist. Wir sehen uns lieber als Opfer und machen uns von Rettern, Gurus oder Heilern abhängig, als zu lernen, das Wagnis des Nichtwissens einzugehen, dem Mysterium zu vertrauen. Es gilt, das Paradox zu akzeptieren, dass das Göttliche nichts und alles ist, gleichzeitig in uns und außerhalb von uns existiert. Wir sind Teil des Universums, das aus derselben Substanz in unterschiedlichen Erscheinungsformen besteht. Die Wissenschaft versucht, immer mehr Geheimnisse zu entschlüsseln. Sie dringt mit dem Elektronenmikroskop in den Nano-Bereich ein und führt uns mit riesigen Spiegelteleskopen bis ans Ende des unvorstellbar großen Universums. Nicht mehr lange, und es gelingt, aus toter Materie Leben zu erschaffen. Je mehr wir erfahren, desto mehr ahnen wir, wie groß unser Nichtwissen ist und stehen ehrfürchtig wir vor den Wundern der Schöpfung und der mathematischen Ordnung, die selbst dem Chaos innewohnt und nach der sich das ganze Universum bewegt.