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Paul D. MacLean

Paul Donald wird am 1. Mai 1913 in Phelps, New York geboren. Er wächst mit drei Geschwistern als Pfarrerssohn auf. Während der Vater sonntags auf der Kanzel steht und die Mutter im Kirchenchor singt, besucht Klein-Paul schon früh die Sonntagsschule resp. den Kindergottesdienst.  Schon mit vier Jahren lernt er da die Zehn Gebote und als man ihm erzählt, dass man vom Blitz erschlagen werden könne, wenn man den Namen des Herrn missbraucht, führt das bei Paulchen zu etwas, das er später als erste Erfahrung benennen wird, die seinen Forschergeist inspirierte.

Er setzt sich in einen Schrank, macht die Tür zu und ruft aus voller Kehle „JESUS CHRISTUS!“ – darauf wartend, dass ein Blitz einschlagen würde, aber nichts passiert.  Später wird ihm klar, dass die Aussage, man würde vom Blitz erschlagen ohne Angabe eines Zeitpunkts getroffen worden war. Es konnte also sofort oder irgendwann in der Zukunft geschehen. Als ihm diese Erkenntnis kam, so Paul McLean viele Jahre später, meinte er: „Seitdem warte ich darauf.“

 

„Warum tun Menschen, die es besser wissen, Dinge, von denen sie wissen, dass sie sie in Schwierigkeiten bringen können?“

Jedenfalls beginnt er sich irgendwann – wenn vielleicht auch nicht schon als Vierjähriger – zu fragen:  „Warum tun Menschen, die es besser wissen, Dinge, von denen sie wissen, dass sie sie in Schwierigkeiten bringen können?“

Doch bevor er sich der Hirnforschung zuwendet, liebäugelt er nach seiner Collegezeit erst einmal mit der Philosophie. Als seine Mutter plötzlich akut erkrankt, ist Paul von der Diagnostik des Arztes vor Ort (der statt Herzinfarkt, wonach es wohl auf den ersten Blick aussieht, auf Gallensteine tippt) fasziniert und er beschließt, doch lieber Medizin zu studieren. Menschen helfen können und das menschliche Hirn zu erforschen, das wird von dem Moment an zu seinem Credo.

1955 in Yale

Vom Sanitätsarzt zur eigenen Praxis

Nach seinem Studium in Yale und dem Praktischen Jahr im Johns Hopkins will er gerade eine Assistenzarztstelle antreten, als Pearl Harbour bombardiert wird und die USA in den Zweiten Weltkrieg eintritt. Das bedeutet für ihn, er muss zum Militär. Kurz vor seinem erwarteten Einsatz in Europa lernt er Alison Stoke kennen, eine Quäkerin, die eine Ausbildung zur Krankenpflegerin macht. Liebe auf den ersten Blick; es wird geheiratet, 1942 im militärischen Trainingscamp auf Cape Cod.

Statt wie erwartet in Europa landet er schließlich per Schiff in Auckland, Neuseeland. Dort leistet er Dienst in einem 1000-Betten-Krankenhaus, speziell eingerichtet für die von japanischen Truppen auf den Solomonen, einer Inselgruppe im Pazifik, bombardierten Soldaten. Als Sanitätsoffizier arbeitet  MacLean zusammen mit Dr. Averill Liebow daran, den Diphtherie-Bazillus als eine Ursache tropischer Geschwüre aufzuzeigen. Sie ebnen damit den Weg für die erfolgreiche Vorbeugung und Behandlung dadurch hervorgerufener Erkrankungen.

Nach dem Krieg lässt er sich mit seiner Frau in Seattle nieder. In seinem Haus eröffnet er im unteren Teil eine eigene Praxis, arbeitet parallel dazu aber auch an der Universität.

„In meiner Praxis stellte ich oft fest, dass ich nach einer vollständigen Anamnese,  einer vollständigen körperlichen Untersuchung auf klassische Art und Weise außer psychologischen Symptomen nichts entdecken konnte und ich fand es  unverantwortlich, solche Patienten mit nichts als einem Beruhigungsmittel wegzuschicken.“

Das dreieinige Gehirn

Zusammen mit Dr. Stanley Cobb beginnt MacLean, psychomotorische Zusammenhänge der Epilepsie zu erforschen. Er nennt das Zentrum der Emotionen im Gehirn „Limbisches System“. Damit prägte MacLean 1952 erstmals diesen Begriff.

1949 erhält er eine Anstellung in der physiologischen und psychiatrischen Fakultät der „Yale Medical School“. Dabei erforscht er gemeinsam mit Dr. John Fulton unter anderem die Gehirnmechanismen von Gefühlen. In dieser Zeit beginnt er, seine Theorie des „Dreieinigen Gehirns“ (engl. „Triune Brain“) zu formulieren, die im Laufe seiner Karriere zur Grundlage seiner Forschungen werden soll:

Eine hierarchische Organisation des menschlichen Gehirns, bestehend aus 3 stammesgeschichtlich unterschiedlich alten Grundtypen. Demnach besitzt der Mensch drei miteinander vielfach neuronal verbundene „Gehirne“, mit  stark  voneinander abweichender Struktur und Neurochemie.

Drei „Gehirne“, die aus unterschiedlichen evolutionären Epochen stammen und zusammen als ein „dreieiniges Gehirn“ fungieren. Dabei werden die jüngeren Hirnteile weiterhin von den älteren beeinflußt.

Tief im Inneren liegt ein urtümliches „Reptilienhirn“. Es befindet sich im Hirnstamm und benachbarten Strukturen und erzeugt stammesgeschichtlich vorprogrammiertes Verhalten, wie z.B. Atmung, Herzschlag, Wachen und Schlafen. Neueren Datums ist das darüberliegende „Altsäugerhirn“. Es entspricht dem limbischen System, das unter anderem die von der Großhirnrinde kommenden oder dorthin gehenden Meldungen koordiniert und unsere Gefühle reguliert. Auch Lernen wurde mit dem Auftreten des „Altsäugetierhirns“ in der Evolution erstmals möglich. Aber erst mit der Entwicklung des „Neusäugerhirns“ sind die Säugetiere in die Lage versetzt worden, sich nicht mehr nur allein der Befriedigung ihrer primären Bedürfnisse zu widmen. Dermaßen ausgestattet war nun erstmals Verhalten ohne Ernstbezug möglich, Spielen genannt. Auch einsichtiges (Einsicht) und kreatives Handeln wurde möglich. 

Kritik

Da das Konzept ein relativ einfaches Modell zum vieldiskutierten Gegensatz von Verstand und Gefühl bietet, wurde es von mehreren bekannten Schriftstellern aufgegriffen und populär gemacht. (Beispielsweise Carl Sagan oder Arthur Koestler)

In der Wissenschaft dagegen wurde das Konzept heftig kritisiert und überwiegend abgelehnt. Die Annahmen über die Evolution der Gehirnanatomie der verschiedenen Wirbeltiere seien fehlerhaft und in ihrem Ergebnis nicht haltbar. Die funktionelle Aufteilung der Gehirnanatomie sei unzulässig vereinfacht. Zum Beispiel zeige die Datenlage, dass auch die frühesten Säugetiere (Mammalia) bereits einen Neocortex entwickelt hätten und dass Vögel und Reptilien dem Neocortex ähnliche Gehirnregionen hätten. Dem entspräche, dass auch die kognitiven Leistungen mancher Vögel, etwa in Sprache oder Werkzeugherstellung, nicht geringer seien als bei Menschenaffen.

Es gibt jedoch auch Hirnforscher, wie etwa Jaak Panksepp, die MacLeans Konzept gewürdigt haben, da es originell sei und interessante Fragen und Denkanstöße aufgeworfen habe. Dr. Thomas R. Insel, ein Neurowissenschaftler und Direktor des National Institute of Mental Health in Rockville, MdL, sagte, die Theorie stehe „außerhalb des Mainstreams wissenschaftlicher Bemühungen“, fügte aber hinzu, dass Dr. MacLeans Forschung der Neurowissenschaft die Tür geöffnet habe, „um große Fragen über Bewusstsein und Philosophie zu stellen, statt der leichter zu beantwortenden Fragen über Sehen und Bewegung“.

 

ENDE

Am Ende wurde Paul D. MacLean nicht vom Blitz erschlagen. Er starb 2007 im Alter von 94 Jahren, ein Jahr nach seiner Frau, mit der er 64 Jahre lang verheiratet war. Er hinterließ fünf Kinder und 13 Enkel.

 

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