UNVERGESSEN oder NEU ENTDECKT

Juri Alexejewitsch Gagarin

 

Geboren am 9. März 1934.

Der Sohn einer Bäuerin und eines Tischlers wird im kleinen Ort Kluschino im Westen Russlands geboren. Mit seinen drei Geschwistern besucht er die Dorfschule. Durch den Zweiten Weltkrieg und die Besetzung des Dorfes durch deutsche Soldaten wird der Schulbesuch für zwei Jahre unterbrochen. Erst 1943 geht es mit dem Lernen weiter.

Nach dem Umzug in die Stadt Gschatsk (heute Gagarin) im Sommer 1945 besucht Gagarin für sechs Klassen die Mittelschule. 1949 zieht er nach Ljuberzy, einen Vorort Moskaus, und macht dort nach zweijähriger Ausbildung die Facharbeiterprüfung als Gießer. Anschließend studiert er weiter, hat 1955 sein Diplom als Gießereitechniker.

Schon während seines Studiums wird er Mitglied des Aeroklubs und legt seine erste Flugprüfung ab. 1957 tritt er in die Luftstreitkräfte ein, wird in die Fliegerschule in Orenburg aufgenommen und zum Leutnant ernannt. Von 1957 bis 1959 dient Gagarin bei einem Jagdfliegerregiment am Polarkreis.

Knapp über 20

Familiengründung

Im selben Jahr heiratet er die Ärztin Walentina Iwanowna Gorjatschowa.

„Ich mochte alles an ihr: ihren Charakter, ihre geringe Größe (Juri misst selbst – die Angaben weichen voneinander ab – nur zwischen 1,57m und 1,65m!), ihre braunen Augen voller Licht und Zöpfe und ihre kleine Nase, leicht mit Sommersprossen gepudert …“ so beschreibt  Juri seine Gefühle zu Walentina.

Sie begegneten sich zum ersten Mal auf einem Tanzabend an der Luftfahrtakademie Orenburg und verliebten sich sofort ineinander. Beide waren damals Mitte Zwanzig.

Am 10. April 1959 wird die Tochter Jelena geboren. Am 12. März 1961, genau einen Monat vor Juris Raumflug, seine zweite Tochter Galina, genannt Galja. Bis zu Gagarins historischem Flug am 12. April 1961 führt die Familie das bescheidene Leben einer gewöhnlichen sowjetischen Familie.

Das junge Paar…

…mit den Töchtern Jelena und Galina

Der erste Mensch im Weltraum

Gagarin gilt als guter Flieger und trainiert hart. Jeden Morgen absolviert er einen schweißtreibenden Geländelauf und macht stundenlang Krafttraining. Aber Anfang der Sechziger Jahre gibt es viele gute Flieger und ehrgeizige Männer. Schwer zu sagen, warum die Wahl für den ersten bemannten Raumflug dann ausgerechnet auf Gagarin fällt. Dieser junge Mann aus der russischen Provinz wirkt wenig intellektuell, eher etwas einfältig, aber auch offen und in die eigene Stärke vertrauend. Ob Nikita Chruschtschow sich so das Gesicht der Sowjetunion vorgestellt hat, lässt sich nur vermuten. Jedenfalls ist Gagarin klein genug und willig, das Risiko einzugehen. Und sich wohl bewusst, dass er ebenso wie die Tiere, die man vor ihm ins All geschickt hatte, womöglich nicht lebendig zurückkommen wird. Die Chancen, diesen Flug zu überstehen, liegen unter 50 Prozent. Drei von fünf Testraketen waren beim Start explodiert, noch nie war ein Mensch in solch einer Höhe geflogen und keiner wusste, wie sich das auf den menschlichen Organismus auswirken würde. 

In Gagarins Persönlichkeitsprofil von 1961 heißt es, Gagarin sei in guter physischer Verfassung, verfüge über hohe intellektuelle Fähigkeiten und „übersteht alle Spezialtrainings (Flug- und Fallschirm- sowie Zentrifugen-Training) mit Leichtigkeit… In seiner Persönlichkeitsstruktur überwiegen Geselligkeit, Optimismus und ein guter Humor.“

Im Cockpit

In 108 Minuten umrundet der Kampfpilot im Alter von 27 Jahren einmal die Erde und landet wieder. Er sieht damit als erster Mensch unseren Planeten von oben. Es ist ein Meilenstein für die Sowjetunion und ein Schock für die USA im Wettlauf der Supermächte im Kalten Krieg. Die kommunistische Propaganda wird es für alle Zeiten als Sieg über den Kapitalismus ausschlachten.

Was damals verheimlicht wird: Bei dem Flug läuft nicht alles glatt. „In 10 von den 108 Minuten stand Juri Gagarin kurz vor dem Tod“, schreibt die Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ Jahrzehnte später. Beim Eintritt in die Erdatmosphäre löst sich die Landekapsel nicht wie vorgesehen vom Geräteteil des Raumschiffs „Wostok“ (Osten). Sie dockt nur deshalb schließlich ab, weil beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht abgetrennte Verbindungskabel durchbrennen.

Auch beim Landen an der Wolga im Süden gibt es eine Panne: Ein Fallschirm löst sich und verheddert sich dabei nur durch Glück nicht in dem Hauptfallschirm. Ansonsten hätte es Gagarin wohl sein Leben gekostet. Seine Landekapsel sollte eigentlich bei Wolgograd 900 Kilometer südöstlich von Moskau aufsetzen, landet stattdessen aber nahe der nördlich gelegenen Stadt Saratow.

Die Landekapsel, 400 km vom geplanten Ziel entfernt

Als der erste Mensch im All wieder Boden unter den Füßen hat, wird er zunächst für einen Außerirdischen gehalten. Der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin überrascht damals die Förstersfrau Anna Tachtarowa mit ihrer Enkelin beim Kartoffelpflanzen auf einem Feld, weil sich die sowjetischen Raumfahrtingenieure beim Landeplatz um Hunderte Kilometer verrechnet hatten. Wegen des orangenen Raumanzugs und des weißen Helms halten sie Gagarin für ein „Monster“, wie eine russische Boulevardzeitung schreibt.

 

Die Massen jubeln dem „Helden“ in Moskau zu

 Selbst auf den Dächern stehen sie, um einen Blick auf den Weltraumfahrer zu erhaschen

Weltruhm

Vom 12. April 1961 an ist bei Familie Gagarin nichts mehr, wie es einmal war. Sie  rückt plötzlich ins Rampenlicht der globalen Aufmerksamkeit. Juri und Walentina treffen die einflussreichsten Menschen der Welt, reisen viel, nehmen an großen Veranstaltungen teil und bekommen täglich Taschen voller Briefe. Juri ist der Nationalheld Nummer eins.

Millionen Sowjetbürger sind stolz auf Gagarin, Menschen aus allen Ländern staunen über diesen freundlich lächelnden, sympathischen Mann.  Gagarin wird als „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet und zum Vorbild stilisiert. Die kommunistische Regierung schickt ihn auf die Reise um jene Erde, deren Wölbung er als erster Mensch überhaupt von oben bestaunt hatte.

Als den „Kolumbus des Kosmos“ feiert ihn die sowjetische Führung. Wieder ist sie den USA zuvorgekommen, schickte nach dem ersten Satelliten – Sputnik I – auch den ersten Menschen ins All. Gagarin wird auf Werbetour für die Sowjetunion und den Kommunismus geschickt. Er schüttelt Che Guevara und Fidel Castro in Kuba die Hand, lernt Gina Lollobrigida kennen, trinkt bei der englischen Queen Elisabeth II Tee. In Frankreich bekommt er sogar einen schicken Flitzer geschenkt.

Der Matra Bonnet Jet V S Coupé Djet

 

Gefallener Stern

Irgendwann beginnt Gagarins Stern zu sinken und er fällt in ein tiefes Loch. EIn weiterer Weltraumflug ist nicht für ihn geplant (vermutlich will die Sowjetregierung kein Risiko eingehen und seinen Nationalhelden vorzeitig verlieren; möglich ist auch, dass er aufgrund seiner entwickelten Trunksucht nicht weiter eingesetzt wird.) Zu seinem Glück jedenfalls ist nicht er 1967 an Bord der Sojus I. Denn bei diesem Flug geht alles schief.  Der Pilot Wladimir Komarow, ein Freund Gagarins, kommt bei der Landung ums Leben.

Gagarin ist in einer schwierigen psychischen Verfassung: Er leidet an Depressionen und Verwirrtheit sowie am Gefühl der eigenen Nutzlosigkeit. Das schicke Privatfahrzeug, die luxuriöse Wohnung und andere Privilegien, die Gagarin vom Staat zur Verfügung gestellt bekommt, können diese Gefühle nicht kompensieren, ihm fehlt wohl die öffentliche Aufmerksamkeit. Eben noch von der ganzen Welt bewundert und nun auf dem Abstellgleis – er fängt an, regelmäßig zu trinken. Gerüchte über seine Alkoholexzesse kursieren im ganzen Land. Die bekannteste seiner Trink-Geschichten ereignet sich im Schwarzmeerkurort Foros. Dort stürzt er völlig betrunken von einem Balkon seines Sanatoriums. Dabei schlägt sich Gagarin heftig Kopf und Gesicht auf und muss einen Monat im Krankenhaus verbringen. Über der linken Augenbraue bleibt eine Narbe. Daraufhin bekommt das „Gesicht der Nation“ eine kosmetische Operation, die sich zu der damaligen Zeit nur Hollywood-Stars leisten konnten.

Tod

Der vielseitig Sportbegeisterte will weiter fliegen. Wenn nicht ins All, dann eben Kampfjets. Um seine fliegerischen Fähigkeiten zu verbessern, schreibt er sich im Flugtrainingsprogramm der Luftwaffenakademie ein.

Der 27. März 1968 ist ein regnerischer Tag. Gagarin startet zu einem Trainingsflug in einem Kampfjet des Typs MiG-15UT, zusammen mit seinem Mentor Wladimir Serjogin. Serjogin ist ein erfahrener Pilot, der im zweiten Weltkrieg als Held der Sowjetunion ausgezeichnet wurde. Er soll Gagarins fliegerische Fähigkeiten beurteilen, bevor man ihn auf den neuen MiG-17-Jet losließ.

Um 10:19 Uhr heben Gagarin und Serjogin auf der Tschkalow-Luftwaffenbasis bei Moskau ab. Ihr Plan ist es, mindestens eine halbe Stunde lang zu fliegen. Doch schon um 10:32 Uhr bittet Gagarin die Flugsicherung darum, zur Basis zurückkehren zu dürfen. Kurz darauf bricht die Kommunikation zwischen dem Jet und dem Bodenpersonal ab.

Was zum Absturz führt, ist bis heute ungeklärt. Es ranken sich viele Theorien von plötzlicher Bewusstlosigkeit über Wetterballon-Ausweichmanöver bis hin zu technischen Problemen der Maschine. Exakte Aufklärung gab es nicht. Fakt ist, dass Juri Gagarin am 27. März 1968 beim Zerschellen des Kampfjets ums Leben kommt. Er ist gerade 34 Jahre alt.

 

Das Grab an der Kreml-Mauer

 

Vermächtnis

Sein Grab an der Kreml-Mauer wird jährlich zum Todestag von seinen Töchtern besucht. Walentina, Juris Witwe starb 2020. Galina, die jüngere Tochter, doziert in Moskau Wirtschaftswissenschaften. Jelina ist Generaldirektorin des Staatlichen Kultur-Museums im Moskauer Kreml, wozu sie Putin höchstselbst ernannt hat. Entsprechend linientreu sind beide Gagarin-Töchter, die beide einen Doktortitel haben.

Weltweit ist der Name Juri Gagarins verewigt als Städte-, Straßen-, Schul-, Sternwarte-, Flughafen-Name, sein Konterfei schmückt(e) Briefmarken, Medaillen, Hauswände. Ähnlich wie es anderen tragischen Gestalten mit Weltruhm ergangen ist, scheint seine Popularität posthum noch heller als zu Lebzeiten und reicht Lichjahre über die Größe hinaus, die er selbst hatte.

 

 

 

 

Quellen:  FAZ, Tagesspiegel, MDR, Wikipedia, Russia beyond

 

Biografie im MÄRZ

Sie wollen Ihre eigene Biografie hier im Biografienforum veröffentlichen?