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Cormac McCarthy

 

Geboren am 20. Juli 1933.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„der vielleicht größte amerikanische Schriftsteller meiner Zeit“

Stephen King

Da hieß er noch Charles Joseph – den Vornamen Cormac gab er sich selbst

1966 mit Ehefrau Anne DeLisle 

Mit seiner 3. Ehefrau Jennifer Winkley

 

 

 

Kein Entkommen vor dem „Dunkel der Welt“

(von Eberhard Falcke/Deutschlandfunk Kultur – Nachruf vom 14.6.23)

Cormac McCarthy war ein großer Schriftsteller, ein Einzelgänger, überzeugter Pessimist und ein radikaler Künstler. International bekannt wurde er mit seiner Grenzland-Trilogie und dem post-apokalyptischen Roman „Die Straße“. Nun ist er gestorben.

Cormac McCarthy hatte schon einen weiten Weg als Schriftsteller hinter sich, als er plötzlich mit 59 Jahren im Rampenlicht der literarischen Öffentlichkeit auftauchte. Das war 1992, als sein sechster Roman erschien. Bis dahin nannte man ihn den „besten unbekannten Schriftsteller der USA“. Doch „All die schönen Pferde“ wurde zum Verkaufserfolg und holte sowohl den Autor als auch seine früheren Werke aus dem Schattendasein der Geheimtipps, was besonders im Falle der beiden Meisterwerke „Verlorene“ und „Die Abendröte im Westen“ überfällig war.

Realist der Heillosigkeit

Das „umfassende Dunkel der Welt“, wie er es selbst einmal nannte, war McCarthys zentrales Thema. Er gehörte zu den großen unbeirrbaren Pessimisten, oder besser: zu jenen Realisten der Heillosigkeit, die vom Fortschritt nichts Gutes erwarten und die Geschichte vor allem als Totentanz und eine Folge von Verlusten begreifen. Woher aber kam dieser pessimistische Blick auf die Welt, mit dem dieser Schriftsteller immer wieder aus dem Zwielicht des Daseins die Momente der größten Finsternis herausfilterte?

Geboren wurde Cormac McCarthy am 20. Juli 1933 in Rhode Island als Sohn eines erfolgreichen Rechtsanwalts. Bald darauf zog die vielköpfige Familie nach Knoxville in Tennessee. Doch schon früh verspürte er, dass er nicht zum ehrwürdigen Bürger geschaffen war. Zwar absolvierte er ein Studium der Geisteswissenschaften, doch unterbrach er es, um vier Jahre in der Luftwaffe zu dienen, zwei davon in Alaska. Danach mischte er sich unter Außenseiterexistenzen, durchforschte gesellschaftliche Schattenzonen und las.

 

Dass Literatur aus Literatur entsteht, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Seine Favoriten waren James Joyce, William Faulkner, Fjodor Dostojewski und Herman Melville – Lektüren also, die nicht geeignet waren, die Härten des Lebens weich zu zeichnen, ebenso wenig wie die archetypischen Unheilsbilder der Bibel, auf die sich in seinem Werk zahlreiche Anspielungen finden.

Darüber hinaus hatte er von menschlichen Bestialitäten im Hinterland der amerikanischen Provinz gehört und daraus seine Schlüsse gezogen. Seine ersten drei Romane bewegten sich in der Tradition der Southern Gothic, der Südstaaten-Schauerliteratur: „Der Feldhüter“, „Draußen im Dunkel“ und „Ein Kind Gottes“ erschienen zwischen 1965 und 1973. Sie erzählen von Hinterwäldlern, in deren Schicksalen unverkennbar die Muster von biblischen oder antiken Verhängnissen durchscheinen. Es sind Figuren, die sich einer Welt ausgeliefert finden, deren Heillosigkeit auch in ihnen selbst die bösartigsten Eigenschaften hervortreibt.

Ein Minimalist in Fragen des Lebensstils

Cormac McCarthy war ein radikaler Künstler: Ein Maximalist in Hinblick auf sein Schreiben und ein Minimalist in Fragen des Lebensstils. An die 30 Jahre lang lebte er in spartanischer Bedürfnislosigkeit – zum Leidwesen seiner zeitweiligen Lebensgefährtinnen. Stets führte er eine starke Glühbirne mit sich, um in den Absteigen, in denen er Unterkunft fand, genügend Licht zum Lesen und Schreiben zu haben.

McCarthys Bücher erzielten zunächst keine hohen Auflagen, aber die Anerkennung unter Schriftstellern, zu denen auch Zelebritäten wie Saul Bellow gehörten, war ihm gewiss. Er war buchstäblich pleite, als ein Bote an seine Moteltür klopfte, um ihm mitzuteilen, dass man ihm das üppige Genie-Stipendium des MacArthur Fellows Program zugesprochen hatte.

Passion für den Südwesten der USA

Gegen Ende der 1970er-Jahre war er seiner Passion für den Südwesten der USA gefolgt und hatte sich in El Paso niedergelassen. Von dort aus erforschte er jene Regionen des amerikanisch-mexikanischen Grenzlandes, die er mit seinen Hauptwerken „Die Abendröte im Westen“ und der Grenzland-Trilogie, die von „All die schönen Pferde“ eröffnet wurde, auf so faszinierende Weise in die Weltliteratur eingeschrieben hat. In der Schilderung dieser Landschaften und Regionen zeigen sich gründliche Kenntnisse von Topographien, Pflanzen, Tieren, Licht und Wolkenformationen. Zugleich fand McCarthys symbolisch und parabelhaft durchwirkter Realismus gerade dort besonders reichliches Material.

In diesen Romanen, zu denen sich als Epilog auch noch „Kein Land für alte Männer“ rechnen lässt, spiegelt sich vieles von dem, was über ein Jahrhundert hinweg das Geschehen an der Nahtstelle zwischen den USA und Mexiko bestimmte: angefangen bei der territorialen Halbierung Mexikos 1848 nach dem Krieg mit den USA, über den Völkermord an den Indianern bis hin zu den späten Western-Abenteuern der entwurzelten jungen Farmersöhne, die in den 1950er-Jahren als anachronistische Cowboys ihrem Untergang entgegenreiten. Am Ende dieser Entwicklung steht die nihilistische Gewalt der Drogenbarone von heute.

Ein Erzähler mit Wucht

Die Wucht von McCarthys Erzählen liegt darin, dass es ihm nicht auf Abenteuer und Spannung ankam, obwohl davon genug in seinen Romanen enthalten ist, sondern auf die Überzeugung, dass es in der Welt kein Heil gibt und der Mensch nicht geeignet ist, das zu ändern. Mit den entsprechenden Schlüsselsätzen ließe sich mühelos ein ganzes Brevier füllen: „Es gibt kein Leben ohne Blutvergießen“, bekannte der Autor einmal persönlich. „Als Gott den Menschen erschaffen hat, hat der Teufel direkt neben ihm gestanden“, orakelt ein Einsiedler in „Die Abendröte im Westen“. Und von einem der jungen Helden in „All die schönen Pferde“ heißt es: „Er stellte sich den Schmerz der Welt als ein formlos schmarotzendes Wesen vor, das die Wärme der menschlichen Seele suchte, um dort zu nisten.“

Cormac McCarthy erzählte von diesem Schmerz, von Verlusten und den Reaktionen darauf, den dämonisch-bösartigen und den unschuldig-hoffnungsvollen. Während der Blick seiner Figuren die Signale der neuen Zeiten entziffert, verwandelt sich der Boden unter ihren Füßen schon in die Trümmerlandschaft des Vergangenen.

Und immer geht die Welt unter

Es gibt keinen Roman von ihm, in dem die Protagonisten nicht zusehen müssen, wie ihre Welt untergeht. Im letzten Teil der Grenzland-Trilogie reitet der Cowboy Billy Parham durch eine endzeitliche Landschaft des amerikanischen Westens, aus der alles Leben verschwunden ist. Und in dem post-apokalyptischen Roman „Die Straße“ hat McCarthy das Bild des Untergangs noch dadurch verschärft, dass hier nun auch die Zukunft der großen Zerstörung anheimgefallen ist.

Trotz alledem aber darf man sich diesen monolithischen Einzelgänger der amerikanischen Literatur nicht als einen misanthropischen, verdüsterten Menschen vorstellen. McCarthy hielt zwar Distanz zum literarischen Betrieb, wie überhaupt zum üblichen Getriebe im gesellschaftlichen Mittelfeld.

Im Übrigen soll er jedoch ein überaus aufgeschlossener, neugieriger Mensch gewesen sein. Er interessierte sich, wie er selbst betonte, für alles und suchte die Freundschaft und den Austausch mit Wissenschaftlern ebenso sehr, wie er den Literaten aus dem Wege ging.

Fragen von Tod und Leben

Am Santa Fé Institute, wo sich Kapazitäten interdisziplinär mit der Erforschung komplexer Systeme befassen, gehörte er seit vielen Jahren zum Kuratorium. Allerdings galt sowohl in der Literatur wie in der Wissenschaft für ihn: „Wenn es nicht um Fragen von Tod und Leben geht, ist es nicht interessant.“ Um weniger als solche Fragen ist es in seinen Romanen nie gegangen, dafür hat er gesorgt. Und das ist wohl der einfachste Grund dafür, dass es in seinem Werk vor dem „Dunkel der Welt“ kein Entkommen gibt.


 

Gestorben am 13. Juni 2023.

 

 

Quellen:  Wikipedia, Deutschlandfunk Kultur

 

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