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Angela Anaïs Juana Antolina Rosa Edelmira Nin y Culmel

 

Geboren am 21. Februar 1903.

Anaïs Nin  wird bei Paris als Tochter des kubanisch-spanischen Komponisten und Konzertpianisten Joaquín Nin y Castellanos und der Dänin Rosa Culmell y Vigaraud, die französische und kubanische Vorfahren hatte, geboren. Ihre jüngeren Brüder Thorvald kommen jeweils an anderen Orten zur Welt, (* 1905 in Havanna) und Joaquín (* 1908 in Berlin). Reisen und Umzüge gehören für Anaïs schon früh zu ihrem Leben.

Als sie elf Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. Er ist mit einer wohlhabenden Geliebten auf und davon. Anaïs vermisst ihn sehr. Dies ist der Beginn ihrer Tagebuchaufzeichnungen (und vermutlich Ursprung ihres späteren Interesses für die Psychoanalyse, wie manche Biografen vermuten). Bis zu ihrem Lebensende wird sie über 35.000 Seiten geschrieben haben; kein Tag vergeht ohne ein paar Notizen. Mit Briefen an ihren Vater, die nie abgeschickt werden, fängt sie an.

Anaïs bei der Erstkommunion

Von Europa nach New York

Die Mutter zieht nach Ausbruch des 1. Weltkriegs mit ihren drei Kindern nach New York. Schlägt sich durch als Gesangslehrerin und Pensionswirtin. Anaïs Nin macht ihrer Verzweiflung in ihren Tagebüchern Luft. Über den Verlust des heißgeliebten Vaters, ihrer Freunde, ihrer Sprache, ihrer katholischen Erziehung. Später wird daraus eine akribische Nabelschau. Alles findet darin seinen Niederschlag. Erlebnisse, Affären, Träume, Ängste, Sehnsüchte und auch ihre Fantasien. Sie schleppt das Tagebuch ständig griffbereit in einem kleinen Korb mit sich herum. Wie andere Frauen das Strickzeug.

Tagebuchschreiberin

Mit 20 verheiratet

Nachdem Anaïs die Schule im Alter von 15 abgebrochen hat, arbeitet sie zeitweise als Modell. Mit 20 heiratet sie den Bankangestellten Hugh Parker Guiler, mit dem sie zwar ihr Leben lang verheiratet, der aber bei weitem nicht ihr einziger Partner bleibt.

Das junge Paar zieht 1924 nach Paris. Gemeinsam mit ihrem Mann unterstützt Anaïs avantgardistische Künstler und lernt so auch Henry Miller kennen, auf dessen literarisches Schaffen sie großen Einfluss hat. Als Gattin versteht sie zu repräsentieren. Sie ist elegant, gebildet – und führt ein Doppelleben. In ihr Tagebuch schreibt sie 1931:

Hugh Guiler und Anaïs Nin

„Ich bin entschlossen, mir keine Erfahrung, die sich mir bietet, entgehen zu lassen.“ 

Die Begegnung wird Henry Miller wird für Nin zum Schlüsselerlebnis: „Sein Schreibstil ist vehement, männlich, animalisch, prachtvoll“, notiert sie. „Er ist ein Mann, der sich am Leben berauscht, dachte ich. Er ist wie ich.“ Bald verbindet die beiden eine heftige intellektuelle und erotische Leidenschaft. Auch mit Millers Frau June hat Nin eine Affäre. Sie stürzt sich von einer Liebschaft in die nächste. Und dokumentiert alles. Wieweit sich in ihren Aufzeichnungen – und später Romanen –  Wirklichkeit und Realität vermischen, ist nicht bis ins Letzte biografisch erforscht. Fest steht, Traum(er)leben und das Unbewusste spielen in ihrem Werk eine wesentliche Rolle; sie ist von den psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung stark beeinflusst. Otto Rank wird nicht nur ihr Lehrmeister in Psychoanalyse, mit ihm hat sie auch eine lang andauernde sexuelle Beziehung.

In ihrem Haus in Los Angeles mit Rupert Pole

Apropos Sex. Zurück in den USA schreibt sie in den 40er Jahren erotische Geschichten, für einen Dollar pro Seite. Später machen diese unter dem Titel „Delta der Venus“ Furore. Mit ihrem Liebhaber, einem mittellosen peruanischen Schriftsteller, gründet sie einen Verlag und druckt ihre ersten surrealistischen Erzählungen selbst. Auch voyeuristische Streifzüge durch das Prostituierten-Milieu gehören dazu. Sie gilt als eine allein ihrem Ego verpflichtete Vorreiterin eines sinnlichen im „Hier-und-Jetzt-und-Real-Sein“ verankerten Lebensstils. Mit geradezu fiebriger Aktivität stürzt sie sich in Paris und später in New York, wohin sie 1940 mit Ehemann Hugh zieht, in die Künstlerszene. Ein rauschhafter Höhenflug, ständig vom Absturz bedroht. Eine von steter Rastlosigkeit getriebene Frau. „Ich kann nicht ausruhen“, vertraut sie ihrem Tagebuch an. „Wenn ich mich hinlege, versäume ich Leidenschaft, dramatische Ereignisse und Abenteuer. Ich bin wie ein mit Flügeln ausgestattetes Geschöpf, das seine Flügel zu selten gebrauchen darf.“

 

 Anaïs Nin und Rupert Pole

Bigamie

1947 trifft sie auf einer Party in New York den hübschen, gerade arbeitslos gewordenen Schauspieler Rupert Pole. Sie ist 44, er 28. Rupert hat eigentlich Musik studiert, sieht keine Chance mehr auf einen Job in seinem Metier und zieht an die Westküste, wo er auf Forstwirtschaft umsattelt und später als Ranger in Kalifornien arbeitet. Anaïs führt mit ihm über die nächsten Jahrzehnte eine Parallelehe. Ständig pendelnd zwischen New York und Los Angeles. Tatsächlich heiraten die beiden in Arizona 1955. Anaïs macht sich damit der Bigamie schuldig, lebt fortan mit dem Risiko, dabei erwischt zu werden, sowohl von den Behörden als auch ihrem Mann in NYC, dem sie bis kurz vor ihrem Tod nichts von ihrem geheimen Leben erzählt. Aus Angst, dass das Finanzamt doch etwas von der Doppelehe mitbekommt, lässt Nin ihre Ehe mit Pole zehn Jahre später annulieren. Die Beziehung bleibt aber bestehen. Guiler weiß vermutlich jahrzehntelang nichts vom Doppel (bzw. Multi-)Leben seiner Frau. Oder er will es nicht wissen. Von ihren Tagebüchern verfasst sie, zu seinem Schutz, zwei Versionen, eine „gesäuberte“ für ihren Erst-Ehemann – die „ungeschminkten“ Versionen landen in einem Bankschließfach. Erst 1975 wird sie diese der Universität von Los Angeles verkaufen. 

Literarisches Schaffen

Sie versteht sich als Schriftstellerin, die mit ihrer ganzen Existenz experimentiert hat und ausgebrochen ist. Nins Biografin Salber meint, Nin habe anderen erzählen wollen, „mit welchen Mühen, Schmerzen, Verzweiflung und Höhenflügen es verbunden ist, wenn man vom Wege abgeht.“ Kritiker werfen ihr vor, dass sich ihr  Leben nur um sie selbst gedreht hat. Zumindest ihr kalifornischer Mann konnte gut damit leben, er sagte lange nach Nins Tod: „I was jealous, yes. But I played the same games as Hugo, pretending to believe her. In a way, I did not care. My idea of marriage is different. We had a wonderful, deep relationship, and that is what counted. I was not interested in conventional women or in conventional marriage.“

Der große literarische Durchbruch kommt für Nin in den 1960er und 1970er Jahren – mit den Hippies, die ebenfalls den Traum von einem anderen Leben, fern der etablierten Bürgerlichkeit, verwirklichen wollen. 1966 erscheinen Nins Tagebücher und werden weltweit zu Bestsellern. Nin wird zum Vorbild weiblicher Selbstverwirklichung und sexueller Selbstbestimmung.

Ende

Am Ende ihres Lebens schenkt Anaïs Nin ihren Männern reinen Wein ein. Sie leidet an Krebs, verbringt ihre letzten Jahre bei Rupert Pole in Los Angeles, wo sie im Januar 1977 im Alter von knapp 74 Jahren stirbt. Ihre Asche lässt  Anaïs‘ jüngerer Bruder und Nachlassverwalter Joaquin von einem Hubschrauber aus über dem Pazifischen Ozean verstreuen.

Als 1985 Hugh Guiler, Anaïs‘ Erst-Mann, stirbt, lässt Rupert Pole dessen Asche über demselben Gebiet in den Pazifischen Ozean streuen.

Quellen:  WDR, Abendblatt, Anais Nin Trust, Apprenticed to Venus: My Secret Life With Anais Nin” (Arcade Publishing), Tristine Rainer

 

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